VA: Ein bisschen Leben vor diesem Sterben. Mit 13 in Auschwitz.
Ein bisschen Leben vor diesem Sterben. Mit 13 in Auschwitz.
Ein Link zur Online-Veranstaltung wird nach Anmeldung versandt.
Ein Vierzehnjähriger, beladen mit einem schweren Rucksack, geht an einem Wintermorgen im Februar 1945 durch das Lagertor und dann auf der von frischem Schnee bedeckten Landstraße in Richtung Krakau. Auschwitz ist erst ein paar Tage befreit. Er will nicht abwarten, bis die Evakuierung der wenigen überlebenden Gefangenen in Gang gekommen ist. Auf seinem einsamen Weg wendet er sich nicht um. Wenn er nicht zurückblickt, so denkt er, wird er Auschwitz für immer hinter sich lassen und vergessen wie einen bösen Traum.
Was er sich in den ersten Minuten der Freiheit vorgenommen hat, das tut er. Den Schulabschluss holt er nach, studiert Medizin, wird Forscher und Hochschullehrer, heiratet eine Fachkollegin, mit der er eine lange und glückliche Ehe führt und vier Töchter großzieht. Sein Name hat in der Fachwelt einen guten Klang.
Vieles gelingt ihm, nur eines nicht: Auschwitz zu vergessen. So weit er auf seiner Lebensbahn vorankommt, so hoch er auf seiner wissenschaftlichen Karriereleiter steigt – die Hölle, in der seine Kindheit zerbrach, bleibt ihm immer im Rücken.
Schließlich nimmt er die Herausforderung an und widmet einen gewichtigen Teil seiner wissenschaftlichen und therapeutischen Arbeit der Frage, wie Menschen nach Auschwitz weiterleben können. Seine eigene Erfahrung wird ihm zum Motiv und zum Instrument, anderen zu helfen.
Dahinter aber tut sich ein umfassenderes Problem auf, das die Überlebenden der faschistischen Vernichtungslager in vielen Variationen umtreibt, und es stellt sich ihm um so dringlicher, je weniger die Menschheit aus den Schrecken des Naziregimes und dem Inferno des Zweiten Weltkriegs gelernt zu haben scheint: Wie ist zu erreichen, dass sich das Geschehene niemals wiederholt?
Nach dem Ende seines Berufslebens, als Fünfundsiebzigjähriger, widmet sich der angesehene Prager Gelehrte Prof. Dr. Tomáš Radil diesem Problem mit ganzer Kraft. Er taucht wieder ein in seine lange verdrängten Jugenderlebnisse, flankiert die eigene Erinnerungsarbeit mit historischen Materialstudien und schreibt jahrelang an einer eingehenden Rekonstruktion seiner Auschwitzzeit. Das Ergebnis ist ein faszinierendes Werk, in dessen Zentrum weniger die äußeren Geschehnisse als vielmehr die Reflexionen und Gespräche der jugendlichen Gefangenen stehen. In diesem Buch ist er wieder der dreizehnjährige Häftling, dessen vierzehnter Geburtstag irgendwann unbemerkt vorübergeht – den Gefangenen bleiben im Lager Kalender und Uhren vorenthalten, sie wissen weder Tag noch Stunde.
Prof. Dr. Hubert Laitko (*1935). Wissenschaftshistoriker. 1970 – 1991 wiss. Mitarbeiter, Gruppenleiter und Bereichsleiter Wissenschaftsgeschichte am Institut für Theorie, Geschichte und Organisation der Wissenschaft (ITW) der Akademie der Wissenschaften der DDR. 2007 – 2014 Lehrbeauftragter Geschichte der Naturwissenschaft an der BTU Cottbus. Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Mitglied des Kuratoriums der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg.
In der Tschechischen Republik wird das Buch zu einem großen Erfolg und erfährt mehrere Auflagen. Noch einen großen Wunsch hat sein Autor: Er möchte auch das deutsche Publikum erreichen, und er schafft eine eigens für dieses Publikum bearbeitete Fassung seines Buches. Als Neunzigjähriger – ihm bleiben und noch wenige Monate zu leben – hält er die deutsche Ausgabe in den Händen. Sie ist seine Botschaft an uns. Wir tun gut daran, sie anzunehmen.
Hubert Laitko, der das Buch von Tomáš Radil ins Deutsche übersetzt hat, stellt es uns in dieser Veranstaltung vor, in der auch Ausschnitte aus dem Buch vorgetragen werden.
Hanna Petkoff (Schauspielerin, u.a. Grips Theater) liest aus dem Buch von Tomáš Radil.
Florian Weis, Rosa-Luxemburg-Stiftung, moderiert.
Zu Tomáš Radil (Arco Verlag):
Abschied von Tomáš Radil (1930–2021)
Ein bißchen Leben vor diesem Sterben
Liste der Daten (auf der Veranstaltungs-Details Seite)
- 2023-12-06 18:00
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