Ihre Ökologie ist eine Katastrophe – Schalten wir sie aus!
Vorwort der Übersetzer:innen:
Der vorliegende Text wurde im Original Mitte 2021 von "La Chose" veröffentlicht, einem losen, unabgeschlossenen Zusammenhang aus Frankreich. Er setzt sich mit dem Begriff der elektrischen Ordnung, also der gegenwärtigen Doktrin der technologisierten Welt auseinander. Dabei geht es nicht allein um eine historische Analyse davon, wie sich diese elektrische Ordnung gesellschaftlich und politisch etablierte. Der Text zeigt auf, wie die Elektrifizierung des Lebens immer weiter vorangetrieben und ausgeweitet wird und mit ihr die kapitalistische, kolonialistische und extraktivistische Logik, der sie entspringt.
Der ganze Text: "Ihre Ökologie ist eine Katastrophe - Schalten wir sie aus! als pfd zum download
Wir betrachten den Text als spannenden Beitrag zur Debatte rund um die ökologische Katastrophe, dessen Analyse auch drei Jahre später nicht an Relevanz verloren hat, im Gegenteil. Um diese Überlegungen auch in einen lokalen Kontext setzen zu können und eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Situation in der Schweiz und dem deutschsprachigen Raum weiterzuführen, haben wir uns dazu entschieden, die Übersetzung zu veröffentlichen. Dass wir in rasendem Tempo einer ökologischen Katastrophe entgegensteuern, ist allgegenwärtig. Angesichts der Komplexität der Ursachen und der Verworrenheit der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen diese sich manifestieren, werden uns erstaunlich simple Lösungen verkauft. Die fortschreitenden Katastrophen sind einerseits real und werden andererseits dazu benutzt, neue Märkte zu eröffnen. Erneuerbare Illusionen sind an jeder Strassenecke erhältlich: E-Autos „sauberer“ Strom, Fairphones, CO2-Ausgleich beim Fliegen. Die Liste liesse sich endlos fortsetzen.
Unter dem Deckmantel der "Erneuerbarkeit" und des Green New Deals erleben wir einen massiven Ausbau der Elektrizitätsnetzwerke. Wenn die ungemütliche Frage nach dem "Weiter wie bisher?" überhaupt gestellt wird, so wird ihre Beantwortung auf die Individuen und ihren Konsum abgeschoben. Niemand soll hier auf den erreichten Lebensstandard verzichten müssen. Der Green New Deal ermöglicht es, die Augen vor der sehr realen, unmittelbaren Zerstörung und Verwüstung an vielen Orten dieser Welt zu verschliessen, was wiederum einen ideologischen Nährboden zur Auslagerung der Ursachen schafft.
Auffallend ist, dass die allerorts gepredigte Nachhaltigkeit meist im Bezug auf den CO2-Ausstoss verhandelt wird. Während weltweit Rohstoffabbau (z.B. der Abbau von Metallen wie Lithium, Kupfer und Kobalt), industrielle Landwirtschaft und Chemiekonzerne Ökosysteme zerstören, Wasser und Böden vergiften und Menschen ausbeuten, scheint der Klimawandel auch in der Schweiz mitunter durch einfache Reduktion der Schadstoffemissionen lösbar. Tesla statt Benziner und alles ist gut. Mit netten Rechentricks wird uns vorgegaukelt, nur eine einzige Variable in einem komplexen System lösen zu müssen: Kein CO2, kein Problem. Strom dagegen scheint klimafreundlich, die verwendeten Ressourcen unerschöpflich, er kann aus Luft und Sonnenlicht gewonnen werden.
Eigentlich gibt es nur ein Problem: Auf mysteriöse Art scheint es nie genug Strom zu geben, es wird uns Angst gemacht vor einem möglichen Black-Out. Darum werden alpine Solaranlagen in Windeseile durch das Parlament gepeitscht, wird ein massiver Windkraftausbau angestrebt oder ein desaströses Geothermieprojekt im Jura vorangetrieben. Eine Volksinitiative, die „Strom für alle“ verlangt, schreckt nicht einmal mehr vor der Forderung nach dem Bau neuer AKWs zurück.
Zeitgleich findet ein rasanter Ausbau von E-Mobilität statt, der die Ideologie des Autos zukunftsfähig machen soll. Damit lässt sich auch dem Autobahnausbau auf der Strecke zwischen Bern und Zürich oder dem geplanten Rheintunnel in der Region Basel ein grüner Anstrich verleihen. In Wirklichkeit ist die „Energiewende“ eine energetische Erweiterung. Wind-, Solar- oder Wasserkraft kommen lediglich zu den fossilen Quellen hinzu, ohne sie zu ersetzen. Besagter Anstieg des Stromverbrauchs ist das Resultat der Wachstumsgesellschaft: Wir leben weit über unseren Verhältnissen. Die „grüne Wende“ dient zur Aufrechterhaltung der bestehenden Machtverhältnisse. Die technologischen Lösungen zur Effizienzsteigerung dienen der Vermehrung von Kapital.
Überall auf der Welt wird für den Ausbau der Energie-Infrastrukturen Land eingenommen, um Rohstoffe abzubauen oder um Wind- und Solarparks zu errichten. Es werden massenweise Rechenzentren, Transportnetze oder Kraftwerke errichtet. Die multinationalen Energie- und Rohstoffkonzerne werden weiterhin alles aus dem Boden holen, was sie können, solange sie können. Kriege für die benötigten Ressourcen werden sich multiplizieren.
Auch die Schweiz fungiert als aktiver Treiber dieser Entwicklung. Dank ihrer wirtschaftlichen Stärke ist es ihr möglich, ihre Aktivitäten in andere Länder auszulagern. Zudem ist die Schweiz Plattform für den internationalen Finanzverkehr. Deswegen ist es auch "schweiztypisch", die Kapitalisierung des Problems zur Lösung des Klimawandels und neuem Wirtschaftszweig zugleich zu erklären. So etwa im Fall von CO2 Zertifikaten (z.B. das multinationale ETH Spin-off South Pole) und dem Emissionshandelsystem. Lokale Emissionen werden ins Ausland ausgelagert und damit ein neuer Handelszweig erschaffen. Win-Win.
Unabhängig davon, woher die Energie stammt (fossil, nuklear, "erneuerbar“), die dafür benötigten Rohstoffe sind ein Beitrag zur gegenwärtigen ökologischen Katastrophe. Diese Katastrophe ist das Ergebnis eines Krieges gegen den Menschen und das Leben im Interesse des Weiterbestehens der Akkumulation im industriellen Kapitalismus.
Die Idee der Energiewende ist verlogen, sie dient dazu, tödliche Praxen und Machtverhältnisse zu begrünen. Die ökologische Verwüstung der Welt ist in vollem Gange und die „erneuerbaren“ Energien sind davon nicht ausgenommen, sie entfalten gar eher eine beschleunigende Wirkung. Der technologische Fortschritt und der sanfte staatlich verwaltete Übergang sind befriedende Mythen, von deren zynischem Trost wir uns verabschieden wollen.
In den bestehenden kolonialen Verhältnisen sind die Kosten unserer Lebensweise für uns (noch) wenig spürbar, für andere dafür umso mehr. Die grüne Lüge ist kein Traum, den alle träumen dürfen. Sie stabilisiert altbekannte Besitzverhältnisse und treibt deren gewaltvolle Verteidigung sogar noch voran. Sie wird auf dem Rücken der Menschen im globalen Süden ausgetragen. Der Extraktivismus verursacht ökologische und soziale Verwüstungen, die oft Fluchtursachen darstellen. Ein weiteres Feld, in welchem die Technologisierung voranschreitet, ist die Militarisierung und Aufrüstung der Grenzen westlicher Staaten. Die Gleichzeitigkeit der Finanzierung von Technologiemärkten und die Abschottungsmassnahmen der Schweiz illustriert fast schon karikaturhaft die globalen Machtverhältnisse.
Menschen fliehen aus den Ländern, in denen Rohstoffe abgebaut werden und die Schweiz schiebt sie wieder dahin ab. Die elektrische Ordnung unterwirft sich ganz nach patriarchaler Manier das Leben. Menschen und Erde werden nach ihrer Verwertbarkeit kategorisiert, ihnen werden Rollen und Funktionen auferlegt, die über Form und Ausprägung der erfahrenen nterdrückung und Ausbeutung entscheiden.
Die Allmacht und vermeintliche Alternativlosigkeit der elektrischen Ordnung lässt uns oft ratlos zurück. Unsere Träume und Utopien werden als neue Ware in sie eingespeist oder wenn dies nicht gelingt, diffamiert und bekämpft. Im Dickicht der neoliberalen Diskurse fällt es oft schwer, den nötigen Mut und Hoffnung für widerständiges Handeln aufzubringen. Blicken wir jedoch auf die Geschichte des industriellen Kapitalismus, findet sich auch immer eine grosse Vielfalt an Widerstandskämpfen. Menschen, die sich gegen die Vertreibung vom für sie lebenswichtigen Land wehren oder die gegen die Zerstörung der Ökosysteme revoltieren, die sie bewohnen.
Die Anti-AKW-Bewegung, No-TAV, die zahlreichen ZADs, die in den vergangenen Jahren enstanden sind sowie die unzähligen direkten Angriffe auf die Infrastrukturen der zerstörenden Maschinerie sind Beispiele für die Kämpfe, die es sich unserer Meinung nach zu kämpfen lohnt. Die Herrschenden sind weder am Ende der Erdzerstörung, noch an einer lebenswerten, emanzipatorischen Perspektive für Alle interessiert. Lasst uns sie und die Strukturen, die sie tragen, angreifen.
Prolog
Gestärkt durch unsere Freund*innenschaften, die Vielfalt unserer Lebensräume und unsere Kampferfahrungen möchten wir unsere gemeinsamen Positionen gegen die Allmacht der elektrischen Welt festhalten. Wir bringen hier nicht abschließende, dafür kompromisslose Argumente ein, um das aktuelle einstimmige und partizipative Klima ihrer Energiewende zu erschüttern. Wir wollen dem Ameisenhaufen der Klimabewegung einen kleinen Tritt versetzen. Einige sarkastische Passagen könnten daher ein sensibles Publikum vor den Kopf stossen. Gleichwohl ist jede Ähnlichkeit mit existierenden Personen nur zufällig. Wir haben uns dafür entschieden, darüber zu sprechen, wie wir sind und was wir in uns tragen - und nicht über Bücher und intellektuelle Referenzen. Daher sollte es nicht verwundern, wenn keine Fußnoten zu finden sind, die das Lesen erschweren würden.1 Wir verwenden im Text größtenteils die inklusive Schreibweise. Wenn irgendwo nur das männliche Genus genannt ist, dann sind auch nur Cis-Männer gemeint.
Wir wünschen viel Spass bei der komplizenhaften Lektüre.
Ihre Ökologie ist eine Katastrophe, schalten wir sie aus
Wir ersticken an eurer Energie, überall, zu jeder Zeit. Wir ersticken daran, dass wir in euren Kabeln und Leitungen gefangen sind, eurem mentalen Smart-Bunker, der jedem einzelnen Menschen so subtil wie eine App ins Fleisch eingeflößt wird. Eure Macht fließt, sie ist flüssig, nicht wahr? So wie eure Autobahnen flüssig sind, so wie eure Züge kommen und gehen, eure Daten fließen. Aus der Ferne sieht es fast schön aus, wie fluoreszierende Spinnweben oder LED-Konstellationen. Alles eine Ordnung, eine Hierarchie, deren pulsierendes Herz die Elektrizität ist. Euer Organismus, wie ihr ihn nennt, dessen ökonomische Gesundheit ihr so sehr schätzt, heizt das Kraftwerk auf, den Transformator, er verteilt sich. Ihr habt uns gegen unseren Willen zu gehorsamen Agent*innen und Techniker*innen dieses kalten Monsters gemacht.
Der Strom fließt so gut zwischen euren Verwalter*innen. Der Black-out, den man uns als ultimatives industrielles Risiko verkauft, ist vielleicht nur eure Angst davor, dass die Maschine plötzlich ausfällt und ihr auf einmal alleine dasteht, denjenigen ausgeliefert, die sich gegen euch wenden werden. Das ist euer ultimativer Albtraum, euer schlimmstes Szenario für einen Kollaps. Kein Wunder, dass die Regierungen an den Theorien des Zusammenbruchs so interessiert sind. Hat unsere Gesellschaft etwas von den Osterinseln oder von den Twin Towers? Angeblich sind Netzwerke umso fragiler, je komplexer sie sind. Ist das nicht so? Nun, es ist so weit. Ihr habt Angst.
Die Katastrophe, die Pandas, ich und die anderen
<<Wir alle wissen, dass wir auf dem Weg in den Abgrund sind und dass wir vom steigenden Meeresspiegel erfasst werden. Diese Angst plagt Linda, 16, und alle ihre Freund*innen. Ihr Lieblingsstrand, an dem sie um vier Uhr morgens in ihrem schönen blauen Glitzerbikini italienisches Eis isst, wird verschwinden und mit ihr die Eisdiele. Sie hat Angst vor dieser Welt, dem Tod der Pandababys und dem Schmelzen der Gletscher. Sie redet jeden Abend auf Instagram mit all ihren Freund*innen darüber. Sie twittert "Trump ist ein Arschloch". Außer ihm und ihrem Onkel anerkennt die ganze Welt die Klimaerwärmung.>>
Die Umweltkatastrophe ist deutlich spürbar. Über die globale Erwärmung wird oft gesprochen, etwas weniger über die weitverbreitete Verschmutzung von Wasser und Land, die durch den Extraktivismus verursacht wird. Wir sprechen trotzdem darüber. Wir wissen inzwischen, dass das Lithium, das für die Batterien von emissionsfreien Elektroautos abgebaut wird, die Umwelt verschmutzt, dass der Abbau von Graphit die Arbeitnehmenden krank macht und sie an Silikose erkranken lässt und dass das Ackerland ausgetrocknet wird. Wir wissen, dass die uft in der Nähe von Städten, aber auch in der Nähe von Kohlekraftwerken schlecht ist.
Die Umweltprobleme entstehen durch die Besessenheit der Energiekonzerne, den Boden umzugraben, weiter und weiter auszuheben, die Ressourcen bis auf den Grund auszupumpen, diesen Planeten auszusaugen, wie eine Orange, die man immer und immer wieder auspresst, weil Orangensaft der lukrativste Markt ist, den es gibt.
Immer mehr elektrifizieren, den Weihnachtsbaum «Planet Erde» bis zum Exzess digitalisieren! Es blinkt: Donuts, Coca, Caca! Es spricht, es singt, es ist schön, es ist hell, es ist smart!
Das ist Walmart!
Zuckerrohr, Extraktion und Kolonien
Die Katastrophe ist nicht nur eine ökologische. Der Markt der Energie wird größtenteils von multinationalen Konzernen beherrscht, die von Staaten unterstützt werden. Man verkauft uns den vernetzten Kühlschrank und den Staubsaugerroboter und verschleiert damit eine bittere Realität. Die Realität einer gewalttätigen Welt, geerbt vom kolonialen Abenteuer der Neuen Welt und beherrscht von den mafiösen Praktiken von Gasprom, Areva4, Chevron, Total, EDF5, Engie und Co. Paramilitärische Milizen sind ihr bewaffneter Arm. Die Schrecken unserer Geschichte wurden lange Zeit ausgeblendet: Der Feminizid, die Kolonialisierung und die Sklaverei, der Hass auf die Anderen. Das Gefühl der absoluten Legitimität, das die weißen Siedler*innen antrieb, ihre Gier nach Macht und Herrschaft, ihre Besessenheit von blutiger Versklavung für das Gold. Wir wurden mit dem Wiegenlied der Abschaffung der Sklaverei und der Entkolonialisierung in den Schlaf gesungen.
Wir hören De Gaulles Stimme aus einem Lautsprecher, die sich für die Selbstbestimmung des algerischen Volkes ausspricht. Man wäre versucht, die Kolonialisierung in die Tiefen der Vergangenheit zu verbannen. Doch Frankreich setzt weiterhin seine Armee ein, um Gebiete in Afrika zu "befrieden". Wir wissen von den Uranminen in Niger, von der nuklearen Souveränität Frankreichs, vom Stolz auf seine Atomkraftwerke und von der Atombombe. Der Abbau seltener Metalle boomt und die Erschliessung neuer Rohstofflagerstätten verbreitet sich wie ein Lauffeuer über die ganze Welt. Englische, australische und kanadische Unternehmen bauen in Minen in Asien, Südamerika oder Ozeanien ab. Der brasilianische Riese Vale frisst sich am Nickel der kanakischen Bevölkerung in Neukaledonien satt.
Doch die gewaltsame Kolonisierung durch nordamerikanische und europäische Unternehmen macht auch hier nicht halt. Es gilt auch die Meere zu erobern und auszubeuten. Die Kraft der Wellen und der Meereswind sind der neue Reiz für die Startup-Nation und die Haie der großen Energieunternehmen. Unbewohnte Gebiete sind ihr neues Fantasieland: Mini-Kraftwerke oder künstliche Inseln stehen auf dem Programm. Die Meerjungfrauen, der Wal Moby Dick und Willy, der Orca, die von einer ganzen Generation von Kindern verehrt wurden, sind die letzten Inseln der Legenden und Träume, die uns noch geblieben sind. Auch der Mond bleibt von der weitverbreiteten Zerstörung unserer empfindlichen Verbindung zum Lebenden nicht verschont. Wenn China nach Mondstaub gräbt, bluten unsere Herzen. Unsere Regelblutung bleibt aus und wir schreien unseren Zorn in die Nacht hinaus.
<<20:12 Uhr, Patrick und Gisèle hören nach einem guten, tiefgefrorenen Bio-Gericht David Pujadas zu, der die nächste Reportage ankündigt: "China hat gerade Material auf dem Mond ausgegraben, um es zu analysieren". "Diese Chines*innen sind schon ziemlich stark", ruft Patrick aus. Gisèle ist damit nicht einverstanden. "Ich finde, wir gehen da ein bisschen zu weit. Der Mond, stell dir das vor! Man muss sich vorstellen, was das für Auswirkungen hat, wie die Gezeiten gestört werden und so weiter. Sogar auf uns, unsere Haare, deinen eingewachsenen Zehennagel, auf uns, die ...Frauen, eben!>>
Wilder Westen, Landschaften und elektrische Eroberung
Die ungezügelte Eroberung subalterner Gebiete beschränkt sich nicht auf die Außengrenzen der Staaten. Um die Gier seiner wichtigsten Organe, den Städten, zu stillen, muss auch das Land im Inneren des Staates kolonisiert werden. Mit weniger Kraft und Gewalt, aber nach der gleichen Logik, werden ländliche Gebiete unterworfen.
Die Aristokratie und die Großgrundbesitzer*innen haben bereits die landwirtschaftlichen Methoden unterworfen, geformt, besteuert, dressiert, kommerzialisiert und standardisiert. Sie haben die Mechanisierung erzwungen, die Böden zerstört, die Abwanderung ausgelöst und Gemeinschaften auseinandergerissen. Das natürliche und soziale Ökosystem dieser Gebiete wurde überflüssig. Sie waren längst die Nebenorgane eines städtischen Kerns, dessen Hunger nach Nahrung gestillt werden musste. Die ländlichen Gebiete hatten kaum Zeit, sich an die interne Kolonialisierung anzupassen. Sie verlangte von ihnen, ihre gesamte Tätigkeit auf die Nahrungsmittelproduktion für die Städte auszurichten, da entdeckten jene bereits einen neuen Appetit. Einen neuen Treibstoff, der nicht mehr auf der Erde wuchs, sondern sich in ihr verbarg: Die Kohle. Aus dem Inneren der Erde entspringend und sie gleichzeitig aushöhlend, entstanden die Arbeiter*innensiedlungen der Bergleute inmitten der Provinz. Die Proletarisierung der Bäuerinnen und Bauern war perfekt, denn sie verwandelten Weideland in Berghalden und Dörfer in Ghettos. Mitte des 19. Jahrhunderts absorbierten sie benachbarte Orte wie Le Creusot, das seine Fläche verdreifachte und seine Bevölkerungszahl versiebenfachte. Die Minen waren ein Symbol für die wissenschaftliche Organisierung und die Industrialisierung der Arbeit, aber auch ein Symbol für die Arbeiter*innenbewegung. Man zog es irgendwann vor, eingewanderte Arbeitskräfte zu importieren, um sie besser zu disziplinieren. Noch lukrativer ist es, den neokolonialistischen Extraktivismus zu wählen, um die menschliche Ausbeutung und ihre kostspielige Verwaltung so weit wie möglich auszulagern.
Während die Minen zur Tür hinausgehen, kommt die Elektrizität durch das Fenster herein." Nach dem Zweiten Weltlkrieg konnte Le Creusot von der Produktion von Waffen auf die Herstellung von Bauteilen für Atomkraftwerke umstellen. Das Schloss der «Schneider-Dynastie», die die Minen ausbeutete, wurde zu einem zu einem "Ecomusée" und Schneider Electric kaufte den Vertriebszweig von Areva.
Die elektrische Metastase breitet sich invasiv aus, es ist die Zeit der Verlegung von Höchstspannungsleitungen, die ganze Landstriche erobern und in die Fußstapfen ihrer Vorfahren im Eisenbahn- und Telegrafenwesen treten. Das Territorium ist rasterartig angelegt. Die Kraftwerke, diese modernen Kathedralen, etablieren sich an den besten verfügbaren Landstrichen, während in den Außenbezirken der Großstädte Transformatoren und Industriemüllhalden errichtet werden und die Polizei Repression ausübt. Es sind immer noch Arbeiter*innen, die in den Fabriken die Teile für die Energieinfrastruktur herstellen und zusammenbauen. Sie werden ausgebeutet und zu miserablen Arbeitsverhältnissen gezwungen.
Nun gilt es, auch die letzten "dünn besiedelten Gebiete" produktiv zu gestalten. Dies gilt insbesondere für die Departements Meuse und Haute-Marne, die dank ihrer lokalen Abgeordneten und der Atomlobby als "nukleares Kompetenzzentrum" gefördert werden, das sich auf die Entsorgung von radioaktiven Abfällen und die Alterung von Kraftwerken spezialisiert. Das Geld der öffentlichen Interessensvereinigung finanziert mit mehreren Millionen Euro Dutzende von Projekten im Zusammenhang mit der Nuklearindustrie: Wartung, Transport, Logistik, Ausbildung. Ein lokales Unternehmen nach dem anderen schliesst, ohne von dieser Instanz, die angeblich "von öffentlichem Interesse" ist, unterstützt zu werden, EDF wächst, die Fabriken krepieren.
Man muss sich die Zustimmung der Bevölkerung erkaufen, die Generation Atomkraft aufklären und von der Sinnhaftigkeit des Projekts überzeugen. Zu diesem Zweck werden die Gemeinden in der Nähe von Bure, einem Dorf, das als Standort für das Atommülllagerprojekt Cigéo ausgewählt wurde, mit Subventionen überschüttet, die von den gewählten Vertreter*innen der Departementsräte über die GIPs7 verwaltet werden. Diese dienen dazu, die Marktstädte mit neuen Festsälen, Straßenlaternen, Bürgersteigen und anderen Infrastrukturen auszustatten. Deren Nutzen kann weitgehend bezweifelt werden, wenn die örtlichen Geschäfte eines nach dem anderen schließen, da die Gegend verödet. Es ist die Zeit der Aneignung von Land durch die EDF, die sich mit dem Prädikat "öffentlicher Dienst" schmückt. Seit 2007 baut die ANDRA8 beispielsweise mithilfe der SAFER9 ein beachtliches Bodenimperium auf und vermeidet so Enteignungsverfahren, die zu langwierig, zu kostspielig und medienwirksam sind. Das agroindustrielle Modell und die Güterregulierung haben bereits die landwirtschaftlichen Erträge optimiert, um noch mehr Land zu erschließen. Nun ist es an der Zeit, die Territorien zu spezialisieren: Atomkraft, erneuerbare Energien oder Massentourismus? Von den illusorischen öffentlichen Anhörungen in den Dörfern bis hin zu Repressionen und Zwangsräumungen in den Vorstädten sind nun alle Territorien untergeordnet, dazu bestimmt, das hungernde pulsierende Herz der Stadt zu befriedigen.
Der Verlust von Wissen und Vorstellungskraft, Reduktionismus und Augmented Reality: Willkommen in der Welt des Übertranshumanen!
Landflucht und "Landgrabbing" haben dazu beigetragen, dass die Landwirt*innen 2.0 auf der Bildfläche erschienen sind. Bewaffnet mit Kameradrohnen und Software, die die Produktivität für jeden Quadratzentimeter Erde berechnet, sind sie keine Bauern und Bäuerinnen mehr, sondern Industriearbeiter*innen. Kleine Bauernhöfe gibt es bereits nicht mehr, mittelgroße verschwinden. Hochschulen auf dem Land bieten Besichtigungen von Betrieben an. Hunderte von Milchkühen, GVO-Pellets und Biogasanlagen oder Weinberge, Pflanzenschutzmittel und Solaranlagen? "Jedem sein Marktsegment, mein Sohn, du wirst dich entscheiden, wenn du groß bist!". Diese neuartigen Industriellen verkaufen uns sogar die Ökologie von morgen. Sie sind in ihren Fabriken 2.0 so nah an der Natur! Sie nutzen jede Ressource, die ihnen zur Verfügung steht, soweit das Auge reicht.
Der Ausbau der Energienetze ging mit dem Verschwinden der direkten Nutzung von mechanischer Energie einher und damit verbunden auch von Wissen und sozialen Verbindungen: Wenn es so einfach ist, einen Knopf zu drücken, ein Pedal zu betätigen oder den Schlüssel einer Maschine umzudrehen, haben tierische Zugmaschinen, Wasser- und Windmühlen sowie die damit verbundenen Berufe keinen Platz mehr.
Mit dem Aufkommen der Elektrizität haben wir auch den Sinn für gemeinsames Handeln, unsere Verbundenheit durch gegenseitige Unterstützung verloren. Die Maschine hat sie auf den Feldern ersetzt. Man macht alles allein vor einem Bildschirm oder auf einem Traktor sitzend. Wir haben anstelle von Gemeinschaften eine Vielzahl von Einsamkeiten geschaffen. Die Zentralisierung der Energieversorgung hat dazu geführt, dass wir unsere sozialen und gemeinschaftlichen Praktiken verloren haben. Es gibt zwar noch Landwirtinnen und Landwirte, die eine emotionale Beziehung zu ihren Tieren pflegen, aber die großen Festessen zur Erntezeit sind längst vorbei.
Wasserkraftwerke integrieren die Flüsse in das Stromnetz und schließen damit weitere Nutzungen aus, die früher ein ganzes soziales Gefüge rund um die Wassereinzugsgebiete bildeten. Die Müller*innen kannten den Wasserlauf oder den Wind und passten sich seinen Schwankungen im Verlauf der Tage und der Jahreszeiten an. Sie kannten das Innenleben ihrer Maschinen: das Holz, aus dem sie bestehen, den Rhythmus der Mühlsteine, der für das gewünschte Mahlen des Korns geeignet ist. Auch wenn sie nicht auf der Seite der Leute standen, sondern auf derjenigen derer, die die Ernte besteuerten, ging ihr Wissen verloren. Die Irrationalität mancher energiepolitischer Entscheidungen, darunter die Ablösung der Wasserkraft durch die Kohle im England des 19. Jahrhunderts, hat einen politischen Hintergrund. Obwohl sie teuer war, verkörperte die Kohle durch ihre Transportfähigkeit und die Möglichkeit, sie in unmittelbarer Nähe der "Lagerstätten" der Arbeitskräfte zu akkumulieren, die perfekte Energie zur Beherrschung der Arbeiter*innen. Die Kohle erzwang einen konstanten und regelmäßigen Rhythmus, während die Schwankungen des Wassers die Arbeitstage unregelmäßig machten. Es ist die Anpassung von Zeit und Raum an die Kontinuität der Produktion. Es ist die Zeit der "Industriellen Revolution", der Zentralisierung von Arbeit in Fabriken, die nach dem Vorbild von Gefängnissen konzipiert wurden. Die neuen Fabriken sind Instrumente der Zähmung, welche die Unterwerfung und Abhängigkeit der Arbeitnehmenden sicherstellen. Dasselbe könnte man über die Elektrizität sagen. Das Makrosystem Strom versorgt weit entfernte, passive Endverbraucher*innen, die in ihren Fabriken, Wohnungen und Büros atomisiert sind, wo die Arbeit vom elektrischen Schalter bestimmt wird, der in einer Welt der allgemeinen Überwachung zunehmend entbehrlich wird.
<<Thomas ist von den organischen und natürlichen Rhythmen vollkommen entkoppelt. Er weiß nicht mehr, in welcher Jahreszeit die Tomate wächst, denn jeden Tag, wenn er in den Supermarkt geht, sind die Regale voll davon. Wenn er mit seinem Fahrrad durch die Stadt fahren will, muss er nur seinen virtuellen persönlichen Assistenten bitten, die beste Route zu finden. Es macht ihn nicht traurig, dass er seine Stadtkenntnisse nicht mehr nutzt, dass er sich nicht mehr vom Zufall der Begegnung überraschen lässt, indem er anhält und Passant*innen nach dem Weg fragt. Thomas braucht niemanden mehr, er ist un-ab-hängig. Seine Künstliche Intelligenz beantwortet alle seine Fragen, liefert ihm Essen oder hilft ihm, die Liebe zu finden. Thomas erhält 15 Benachrichtigungen pro Sekunde. Sein Leben ist ausgefüllt. Da er in einem ständigen Informationsfluss ertrinkt, ist er davon überzeugt, an dieser Welt teilzuhaben und mit ihr verbunden zu sein. Er glaubt sogar, dass 5G notwendig ist, da er seine Videoinhalte schneller laden und ständig von seinem technischen Gerät, dem einzigen Fenster zu seiner Welt, darauf zugreifen kann.>>
Die Entwicklung der Elektrizität hat unser Verhältnis zu Zeit und Geschwindigkeit unwiderruflich verändert. Wir werden mit den Konzepten von Effizienz und Effektivität indoktriniert und haben vergessen, was es bedeutet, sich Zeit zu nehmen. Die unaufhörlichen Energie- und Informationsflüsse, die die Produktion am Laufen halten, basieren auf einer einheitlichen Zeit: An den Börsen der Welt tickt die Uhr immer gleichzeitig. Die Sekunde, die durch die Schwingung des Cäsium-Atoms definiert ist, ist die kleinste Einheit einer Zeit, die von den kosmischen Zyklen abgekoppelt wurde. Man versucht, uns das Ideal der wahren und einzigen Zeit vorzugaukeln: Alles geht immer schneller und muss immer schneller gehen. Jede noch so kleine Sekunde muss optimiert werden. Die Informationen, die ständig aktualisiert werden, sind sofort veraltet. Die Heterogenität der sozialen Zeiten und der Pulsschläge des Lebendigen werden geglättet, denn es zählt nur die kontrollierte und verbuchte Zeit der produktiven Tätigkeit. Es spielt keine Rolle, ob Thomas, wenn er den Schalter betätigt, die Energie nutzt, die ein Sturm in der Nordsee oder eine Hitzewelle in Spanien erzeugt. Alles ist miteinander verbunden, alles ist undifferenziert. Obwohl unsere Verbindung zur Welt von Tag zu Tag verarmt und Lebensformen verschwinden, dehnt sich das Virtuelle aus.
Nicht verbunden zu sein oder kein Netz zu haben wurde zur neuen Angst der immer stärker vernetzten Menschen. Die Digitalisierung der Welt und die dafür notwendigen Prothesen (Smartphone, Smartwatch, Sensoren) schaffen neue Abhängigkeiten und verändern unsere kognitiven Fähigkeiten: Es sind diese Maschinen, die uns den Zugang zu einer besseren Welt ermöglichen. Der Mensch ist die neue Grenze, die es zu überwinden gilt. Er ist nicht schnell, nicht intelligent genug und rechtfertigt durch diesen Mangel,dass wir uns auf das Denken von Maschinen verlassen, auf ihre Prophezeiungen und ihre Entscheidungen. Nachdem die Energie und ihre Netze unsere Vorstellungswelt kolonisiert haben, machen sie sich nun daran, unser Fleisch zu besiedeln.
Die Biometrie hat als Grundlage für die Phrenologie, rassistische Theorien und die Forensik gedient. Sie eröffnet den Weg, die Lebensformen auf ihre messbaren Merkmale zu reduzieren. Die DNA sei der "Code" des Lebens, mit dem sich alle seine Merkmale erklären ließen. In diesem Zusammenhang organisiert der Transhumanismus die Verschmelzung des Menschen mit der Maschine und dem Code. Die Armeen der westlichen Welt arbeiten mithilfe von Exoskeletten und chirurgischen Eingriffen an einem neuen Soldaten. Die massiven Investitionen von Google führen KI, Biotechnologie und Nanotechnologie zusammen und lassen die alten eugenischen Wahnvorstellungen wieder aufleben. Man gibt vor, uns zu verbessern und unsere Fehler auszumerzen, doch in Wirklichkeit will man das, was an uns noch zufällig und einzigartig ist, glattbügeln und kontrollieren. Unter einem sozialen Deckmantel verborgen, handelt es sich hierbei um eine Kommerzialisierung unseres Wesens.
Die ultimative Entkoppelung, der Tod, ist das letzte Gebiet, das es für die reichen Bosse noch zu erobern gilt. Die Unsterblichkeit wird den am meisten Verdienenden
Smart world, Big Data und Überwachung
auf dem Altar der Wissenschaft und des Fortschritts angeboten (oder verkauft). Digitale Technologien sind Energiefresser, aber ihre Gefräßigkeit kann durch die Energiewende gestillt werden. Besser noch: Digitalisierung und Elektrikizität stärken sich gegenseitig. Das Aufkommen der Smart World bewirkt eine Neuausrichtung der Stromflüsse im internationalen Netz in Echtzeit. Sie beruht auf einer erhöhten Kapazität für die Speicherung und den Transport von stromintensiven Daten. Während der Strom für den Betrieb von Rechenzentren verwendet wird, dienen diese teilweise dazu, Daten zu sammeln, die den momentanen Stromverbrauch analysieren. Wie praktisch ist das denn?
Künstliche Intelligenz durchdringt heute jeden Aspekt unseres Lebens. Es werden immer mehr Sensoren und Algorithmen eingesetzt, denn sie sind das Werkzeug einer neuen Art des Regierens. Die KI wird uns retten. So wie die unsichtbare Hand des Marktes die Streitigkeiten zwischen Menschen regulieren soll, so wird es die unsichtbare Hand der Digitalisierung ermöglichen, das System flüssiger und besser steuerbar zu machen - dank ihrer Fähigkeit, die Realität auf Codes und Datenströme zu reduzieren. Es geht darum, die Produktivität der zur Maschine gewordenen Erde und ihrer Bewohner*innen zu optimieren. Indem Staus, Peaks von Umweltbelastungen oder Ressourcenverbrauch, Inflationen und verdächtige Verhaltensweisen vermieden werden, steht dem kontinuierlichen Funktionieren des Produktionssystems und der Zirkulation seiner Warenströme nichts mehr im Wege.
Keine Unterbrechungen, keine Aussetzer - dafür sorgt die elektrische Ordnung. Sie ist die Voraussetzung, die "conditio sine qua non", für die Möglichkeit des Lebens auf der Erde.
In dieser digitalisierten und elektrifizierten Welt breiten sich Kameras aus: Automatische Identifizierung abnormaler Verhaltensweisen, Gesichtserkennung und Video-Strafverfolgung. Frontex-Drohnen und Bewegungsmelder an den Grenzen ermöglichen einen unmittelbaren Einblick in die Migrationsströme in einem zentralen Kontrollturm. Das Panoptikum wird ausgeweitet.
Linky-Zähler10 und andere Sensoren sammeln in Echtzeit Daten, erstellen Profile von Kund*innen und Verbraucher*innen, setzen moralische Maßstäbe und verhindern Betrug. Die GAFAM11 registrieren Tausende von Stunden an Internetvorg ngen, wenn sie Smartphones geolokalisieren. Die Versicherung Axa bietet ihren Kunden vernetzte Uhren an, um ihre Gesundheitsdaten zu überprüfen. France Connect12 erstellt staatlich anerkannte digitale Profile, um alle Behördengänge einer Person zu zentralisieren. Das Arbeitsamt kann deine Kontoauszüge einsehen, um herauszufinden, ob du im Ausland warst. Die Polizei ist nun in der Lage, einen Nachtclub, der während einer Sperrzeit heimlich öffnet, anhand seiner Linky-Messwerte zu fassen. Amazon entwickelt eine App, die auf den Smartphones von Polizist*innen in Echtzeit aktualisiert wird und Auskünfte über Aussehen, Vorstrafen und politische Aktivitäten im Internet zusammenfasst. Industrien, multinationale Konzerne, Staaten und das Militär ziehen an einem Strang. Sie sprechen dasselbe Neusprech, das in ihren steril gestalteten Videospots ihren Widerhall findet. Alle preisen die Vorzüge der vernetzten und überwachten Stadt.
Während die "entmaterialisierte" Cloud vorgibt, uns zu unterstützen, dringen ihre Netzwerke und sperrigen Infrastrukturen in unsere Böden ein. Unterirdische und unterseeische Kabel legen unseren Geist in Ketten und lassen unser Gehirn verkümmern. Wir werden abhängig, brauchen Bildschirme, um andere zu sehen, Sensoren, um unsere Umgebung zu spüren und Daten, die über uns selbst
Der moderne Mensch und der Bauch der Erde
produziert werden, um uns selbst zu kennen. Das Energiesystem ist, so wie wir es kennen, untrennbar mit dem Kapitalismus verbunden, der es hervorgebracht hat und der seit Jahrhunderten von Enteignung, Zerstörung und Ausbeutung von Körpern und Territorien aufrechterhalten wird. Der Extraktivismus, der ihn nährt, ist von Grund auf patriarchal und kolonial. Er begann mit den Hexenverfolgungen in Europa, den Einzäunungen von Land, der Lohnarbeit, der Zerstörung von in der Umwelt verwurzeltem Wissen und von autonomen sozialen Organisationen - ebenso wie mit dem kolonialen Grundsatz des modernen Europas, der aus Enteignung, Landgewinnung, Bepflanzung und Ausbeutung besteht.
Die Zeit des 16. und 17. Jahrhundert wird zu oft mit Renaissance und Reformen gleichgesetzt und nicht genug mit dem, was sie vor allem war: Eine Zeit der Scheiterhaufen, der Verfolgung, der Folter, der Enteignung der arbeitenden ländlichen Klassen, der Zerstörung der bäuerlichen Kultur und der kommunalen Verbindungen. Die herrschenden Klassen haben diejenigen, die sie nicht mehr fürdie Erwirtschaftung von Profit benötigten, zum Herumirren und zur Randständigkeit verurteilt. Sie boten einer neuen Gruppe von Tagelöhner*innen lächerliche Löhne als Kompensation für den Verlust des Landes und des Rechtes auf Nachlese13 an.
Der Kapitalismus konnte sich auf dem Rücken dieser umherziehenden Bevölkerungsgruppen, sowie durch die Verbannung der weiblichen Arbeitskraft in die häusliche Sphäre entwickeln, indem er sich ihre Kompetenzbereiche aneignete und sie vom öffentlichen Wissen und der Lohnarbeit ausschloss. Als Beispiel können die Heiler*innen der Unterschicht, die von den Ärzten verfolgt wurden, gesehen werden. Sie leisteten unentgeltliche Arbeit und wurden durch die Verfolgung vernichtet. So wurde der Kapitalismus mit der Enteingnung des Wissens und der Praktiken von Frauen genährt14. Die Ethik des Privateigentums, das absolute Recht der Besitzenden, diente auch als Rechtfertigung für den Beginn der kolonialen Expansion durch einen beispiellosen Handel mit Sklav*innen und die Enteignung und Vertreibung der indigenen Bevölkerung.
Die dem damals aufblühenden Kapitalismus zugrunde liegende Ideologie, war die des modernen Menschen und sein Vorbild war das des bürgerlichen Unternehmers. Dieser perfekte Mensch sieht die Welt durch seine universale und transzendente Brille. Dieser Blick genügt ihm, da für ihn nur das zählt, was sichtbar ist. Licht ist für ihn lebenswichtig. Er hasst den Schatten, er sieht alles, selbst in großer Entfernung und räumt, wenn es sein muss, Hindernisse aus dem Weg. Er zögert nicht, Berge zu durchlöchern, Wälder zu roden und Flüsse aufzuschütten, um das Territorium, das er in eine Ressourcenkarte verwandelt hat, lesbar und zugänglich zu machen. Er träumt sich als reiner Geist und vergisst seinen Körper. Er braucht ihn auch nicht, da andere, untergeordnete Körper (kolonisierte Völker, Frauen, nicht-weiße Menschen) damit beschäftigt sind, die Güter und Dienstleistungen zu produzieren, die es seinem Verstand ermöglichen, sich zu entfalten, um die Geheimnisse der Natur zu ergründen. Ja, er ist objektiv. Er kann sich aus der Welt herausziehen, um sie in kleine Stücke zu schneiden und zu sezieren. Auf diese Weise versteht er sie und enthüllt die Wahrheit, deren reinste Darstellung ihm die Zahl zu sein scheint. So von der Welt entfremdet, kann er sie nach Belieben umgestalten, um sie zu perfektionieren. Denn was er über alles schätzt, ist Aktivität und Geschäftigkeit. Seine Angst ist der Verlust. Das ist das Gegenstück zu seiner Besessenheit der Produktion. Er verliert nie Zeit!
Ruhe, ja, aber nur so viel wie nötig, um die Batterien wieder aufzuladen. Die Abfälle und Verluste, die seine Art der Produktion mit sich bringt, spürt er durch eine ständige Optimierung der Prozesse auf und minimiert sie. Einige Tricks, die seinem Einfallsreichtum entspringen: Die energetische Nutzung von Abfällen durch Verbrennung, die sowohl das Energie- als auch das Abfallproblem löst! Oder die Smart Grids, die sogenannten "intelligenten" Netze, die eine bessere Abstimmung zwischen Stromangebot und -nachfrage ermöglichen. Ein wunderbares Instrument für die Jagd nach Verschwendung!
Im 19. Jahrhundert ermöglichte die Thermodynamik diesem ehrlichen Mann, sein Machtstreben zu befriedigen. Die Schaffung des Konzepts von Energie war das Ergebnis. Die Effizienz von allem wurde messbar und verwandelte die Welt in einen riesigen Strom, der in Produktivkraft umgewandelt wird. Es war nun möglich, ein Pferd und einen Kohlewagen, einen Fluss und ein sonniges Stück Land, einen Eichenwald und einen Müllhaufen nach einem objektiven, quantitativen Kriterium zu vergleichen. Von der Tonne Kohleäquivalent bis zum Franken, von der Kilowattstunde bis zum Euro weist die Energie ein direktes wirtschaftliches Äquivalent auf. Das Stromnetz konkretisiert diese Vereinheitlichung von Phänomenen, von eklektischen und launischen Materialien, zu homogenen und manipulierbaren Ressourcen. Energie ist die Grundlage für eine vielversprechende Investition: Sie ist das Blut der Industrie, der Nerv des Krieges, die Grundlage der modernen Zivilisation. Die Energieunternehmen tragen zum allgemeinen Fortschritt bei und dienen der Gesellschaft mit ihrem wohltätigen Werk. Ist die Elektrizität nicht zu einem Grundbedürfnis der Menschheit geworden? Wo wäre Afrika ohne diese begabten und wagemutigen Ingenieur*innen? Unser ehrlicher Mann muss sein Projekt fortsetzen. Sind nicht einige Energievorkommen noch ungenutzt, wo verelendete Gesellschaften, die von diesem Reichtum nichts wissen, noch ohne Strom leben? So wie er mit seiner Manneskraft die Wüsten befruchtete und den runden Bauch der Erde befruchtete, wird er mit dem für jedes Gebiet anpassbaren Pflug Energie erzeugen können.
Partizipation, Luftschlösser und Desillusionierung
<<Roger ist zwar nicht dieser ehrliche bürgerliche Mann, hat aber sein ganzes Leben kapitalisiert und will angesichts der Last seiner übergroßen Gewissensbisse in ein Zwanzigstel eines Windradflügels eines partizipativen und zivilgesellschaftlichen Projekts in seiner Gemeinde investieren. Glücklicherweise nicht in seinem Garten, sondern am anderen Ende des Dorfes, bei den Duponts. Er ist 60 Jahre alt, redet laut, schneidet den Nachbar*innen das Wort ab und beugt den Oberkörper bei der Vorstellung, Frankreich zu retten. Mit den Einnahmen könnte man den Rasen vor dem Rathaus mähen! Außerdem wird er einem 11-jährigen Kind einen Job in der Lithiumgewinnung geben, was seine Offenheit gegenüber China beweist, das den französischen Unternehmen immerhin geschadet hat. Eine sauberere Welt hier und eine verschmutzte dort. Das ist die Zukunft, wurde ihm angepriesen. Und er zückte das Portemonnaie, weil er überzeugt war, als patriotischer ÖkoHeld zu handeln.>>
Man könnte versucht sein, an die "Mitbestimmung" zu glauben. Zu glauben, dass wir mit partizipativen Windkraftanlagen die Möglichkeit hätten, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Wir hätten an öffentlichen Anhörungen teilnehmen können, wenn Unternehmen um unsere Stimme bitten, und unsere Meinung dazu äußern können, wo die neuen Energiequellen errichtet werden sollen. Wir hätten sogar EDF zuvorkommen und Solarzellen auf unseren Dächern installieren können. Oder noch besser, wir hätten mit unserem Dorf ein eigenes Windkraftprojekt auf die Beine stellen können. Egal, welche der drei Formen wir gewählt hätten, wir hätten dem Ruf der Partizipation nachgeben können, denn sie ist überall in Mode, bei allen neuen Industrie- und Stadtplanungsprojekten. Wir hätten glauben können, dass es sich dabei um eine Form politischer Autonomie, um eine Stärkung unserer Handlungsmacht handelt.
Wir wissen nur allzu gut, dass unsere Erwartungen trügerisch sind. Dieses neue Schlagwort des öffentlichen Handelns legitimiert die politischen Entscheide von oben, indem es ihnen einen vagen demokratischen Anstrich verleiht. Die Stromerzeugung trägt unabhängig von ihrer Quelle zu den aktuellen Katastrophen bei. Schon der Begriff "Energiewende" wird missbraucht. "Wende" würde einen Übergang von einer Erzeugungsquelle zu einer anderen voraussetzen, während in Wirklichkeit die neuen Arten der Stromerzeugung (Biomasse, Photovoltaik, Windkraft, Methananlagen, Wasserstoff usw.) lediglich zu den alten hinzukommen und sogar weitgehend auf ihnen aufbauen. Schon jetzt strecken die Akteur*innen des grünen Kapitalismus ihre Krallen nach neuen Gebiete aus, die es zu erobern gilt. Europäische Firmen wie die spanische Guascor oder EDF Énergies Nouvelles15 stellen auf Tausenden von Hektaren in ganz Lateinamerika Hunderte und Aberhunderte von Windkraftanlagen auf, mit der gleichen Besessenheit, mit der unsere Vorfahren Zuckerrohr und Tabak anbauten.
Es ist schwer, sich das Ausmaß der Gewalt vorzustellen, die mit der Aneignung dieser Gebiete durch Unternehmen einhergeht, die uns so vertraut sind. EDF stellt auf Windkraftanlagen um, das ist Fortschritt! Man muss doch mit der Zeit gehen! Vor allem, wenn man keine Atomkraft mehr will! Außerdem bringt es den Einheimischen den nötigen Fortschritt! Ach, wie schön ist doch die EDF, die den Menschen in Frankreich so am Herzen liegt. Auch der mexikanische Staat muss die EDF lieben, weil er sie so herzlich aufgenommen hat. Ein vierter Park mit einer Fläche von über 4000 Hektaren für etwa 62 Windkraftanlagen! Das müssen aber sehr große Windräder sein! Huh, Jamie? Fred, erzähl uns alles, wie laufen diese Verhandlungen ab?
<<Jamie, die indigene Bevölkerung wird in großen "Consultas" informiert, die vom mexikanischen Staat organisiert werden, auf Spanisch und sogar in ihrer indigenen Sprache! Alle versammeln sich auf dem großen Dorfplatz. Eine Bühne ist der gesamten Führungsriege gewidmet: vom Vorsitzenden des EDFProjekts in Mexiko über die Energiegewerkschaft bis hin zu Menschenrechtsorganisationen. Sie präsentieren schnell alle sozialen und wirtschaftlichen Vorteile des Projekts für die Gemeinde. Dann wird in der Bevölkerung darüber debattiert. Ist sie nicht schön, die westliche Demokratie?>>
Wir waren dort und können euch sagen, dass es eine groteske Inszenierung war, bei der sich die heile Welt am Anblick der Gemeinschaft ergötzte, die während vier Stunden zur Schnecke gemacht wurde. Und die Windräder sind auch nicht mal so groß! Die Bestechungsgelder, die die Akzeptanz des Projekts in der Bevölkerung sicherstellen sollen, führen unweigerlich irgendwann zu Spannungen, Konflikten und letztendlich zum Zerreißen der örtlichen Gemeinschaft. Ziel ist es, das kommunale Land in den Privatbesitz des Unternehmens zu überführen - durch Korruption, aber auch durch Mord, wenn die Bevölkerung sich zu sehr dagegen wehrt. Dies zeigt zum Beispiel der Fall von Berta Cáceres, Lenka-Führerin in Honduras, die den Widerstand gegen ein Wasserkraft-Staudammprojekt anführte und 2016 ermordet wurde. Der Einsatz von Pistoleros und bewaffneten Gruppen ist weit verbreitet. Lokale Bauunternehmen führen einen erbitterten Krieg gegeneinander, um Bauaufträge zu erhalten. Es ist nicht verkehrt zu sagen, dass der französische Staat mit seiner Stromtochter schamlos sein kolonisatorisches Werk fortsetzt: Die gleiche staatliche Unterstützung für Rohstoffunternehmen, die gleichen asymmetrischen Beziehungen zwischen Weißen und Einheimischen, die gleichen menschlichen und ökologischen Katastrophen am Ende. Frankreich beteiligt sich an der Zerstörung der sozialen Strukturen und der lokalen Lebensweise. Das Vakuum, das dieser Zerfall hinterlässt, begünstigt die Drogenhändler bei der Ausübung ihrer Herrschaft. Der französische Staat ist für Morde im Namen einer globalen Ökologie mitverantwortlich. Und in diesem Sinne kann man durchaus behaupten, dass Frankreich am gegenwärtigen Öko-Techno-Faschismus beteiligt ist.
Krisen, Individuen und Verantwortung
Abgesehen davon, dass die partizipativen erneuerbaren Energien keines ihrer sozialen Versprechen einhalten, wissen wir nur zu gut, dass sie auch ihre ökologischen Versprechen nicht einhalten. Eine EDF-Windkraftanlage, die auf unserem Territorium errichtet wird, wird unsere Rechnung nicht senken und uns keine zusätzliche Autonomie verleihen. Wir wissen nur zu gut, dass wir von EDF und seinen Zulieferer*innen abhängig sind, um eine Windkraftanlage oder ein Solarmodul zu bauen, zu transportieren und zu installieren. Dass wir auch von ihnen abhängig sind, um sie zu warten, abzubauen und zu recyceln. Wir werden keine Kontrolle über dieses Werkzeug haben, kein neues Know-how, keine Autonomie. Die so erzeugte Energie wird wieder in ein Hochspannungsnetz eingespeist, das uns nie gehören wird. Sie wird auf dem Markt verkauft, um weit entfernte Infrastrukturen zu versorgen, die umweltschädliche Produkte herstellen.
Wenn wir unsere Energie für diese Illusion von Teilhabe und Autonomie verschwenden würden, werden wir unsere menschliche Energie an EDF verschenken und ihnen ihre Arbeit vorkauen. Wir hätten auch auf diejenigen hören können, die sich für einen "Green New Deal" einsetzen und uns darüber freuen, dass das Klima endlich auf die politische Agenda gesetzt wurde. Darüber, dass die globale Erwärmung durch die COP 21 und die darauf folgenden Konferenzen endlich angegangen wird. Wir hätten alle diese Maßnahmen positiv sehen können und umweltschädliche Unternehmen dazu ewegen, auf erneuerbare Energien umzusteigen, sie dazu verpflichten, mit mehrRespekt für den Planeten zu handeln. Wir hätten uns einreden können, dass wir auf dem richtigen Weg seien, wenn auch nicht radikal genug, und uns in Gruppen engagieren, die eine Reform des öffentlichen und privaten Handelns befürworten.
Wir hätten vielleicht ein paar Gebiete in Costa Rica schützen wollen, damit sie "natürlich" bleiben, um dort 15 Tage im Jahr in Ökourlaub zu fahren. Wir hätten ignorieren können, dass Ausbeutung und Schutz letztlich nur zwei Seiten derselben Medaille sind.
Aber wir haben verstanden, dass hinter den Absichtserklärungen und der Kritik an den Kohlenstoffemissionen nur ein technologischer Wandel, eine weitere industrielle Revolution steht. Wir haben gesehen, wie ein auf den Handel mit "CO2-Gutschriften" spezialisierter Markt es Unternehmen aus aller Welt ermöglicht, den gesamten Planeten zu verschmutzen und die Kolonisierung in einer neuen Form fortzusetzen. Wir haben gesehen, dass Unternehmen, während sie nach Minen graben und Atome spalten, sich selbst freikaufen, indem sie afrikanische Wälder abholzen, um dort Monokulturen von Bäumen wie dem Kautschukbaum anzulegen, die Bevölkerung enteignen und – als Zückerchen darauf - Anerkennung für ihr ökologisches Handeln erhalten.
Wir gehören nicht zu denjenigen, die sich für einen "Klimanotstand" einsetzen. Die Entscheidungsträger*innen machen nicht plötzlich eine humanistische Wende. Sie trichtern uns ein, dass das Monopol für die Bewältigung dieser neuen Krise, die sie weitgehend selbst verursacht haben, an eine zentralisierte und paternalistische Macht delegiert werden müsse. Wenn die Herrschenden einen Teil des Problems anerkennen, indem sie es als "Krise" oder "ökologischen Notstand" bezeichnen, dann sicher nicht, um es zu lösen, sondern um sich für kompetent zu erklären, es zu managen. Es ist etwa klar, dass die aktuelle Gesundheitskrise die Staaten keineswegs dazu veranlasst, die Ursachen der Entwaldung, der aggressiven Industrialisierung oder der Massentierhaltung einzudämmen. Die einzige Antwort, die auf all diese "Krisen" - seien sie wirtschaftlicher, sicherheitspolitischer oder gesundheitlicher Natur - gegeben wird, sind freiheitseinschränkende Maßnahmen, Gewalt und brutale Vorstöße in Richtung Zentralisierung der politischen Macht. Es gibt keine Gründe, anzunehmen, dass dies bei der Klimakrise anders sein wird.
<<Emilie ist "Zero Waste". Sie hat die Zero-Bewegung entdeckt, als sie an einer Challenge in den sozialen Medien teilgenommen hat. Seitdem kauft sie ihr Müsli in einem UnverpacktLebensmittelgeschäft im Stadtzentrum. Und wenn sie Sonntags auf den Biomarkt geht, bringt sie ihre eigenen Glasbehälter mit, die sie in ihrer Baumwolltasche transportiert. Sie fährt mit dem Elektrofahrrad. Aber sie kann nichts dafür, dass ein Teil ihres Stroms aus Kraftwerken kommt. Sie selbst ist bei Enercoop. Sie erhält drei Benachrichtigungen pro Minute auf ihrem Fairphone, dessen Kobalt aus den Minen im Kongo stammt. Aber Emilie ist "Zero Waste", sie würde sich wünschen, dass Apple lokal produziert. Und die seltenen Metalle in ihrem Computer zählen nicht zu ihrem Abfall: Es sind keine Verpackungen, die sich in ihrer Küche stapeln. Es ist nicht schmutzig, es ist weit weg.>>
Wir hätten uns von der Erzählung, die uns zu umweltbewusstem Handeln aufruft, verführen lassen können. Wir hätten uns auf das Spiel des "verantwortungsvollen Konsums" einlassen können. Wir hätten an die smarte Welt glauben können. Neue Apps herunterladen, um den Müll in unserer Umgebung zu melden. Wir hätten uns unter dem Deckmantel des Umweltschutzes zur Moralpolizei auf unseren Straßen machen können. Wir hätten versuchen können, die Nachbarschaften zu erziehen und das Klima-Argument nutzen, um die Klassenherrschaft zu begrünen. Wir hätten Linky-Zähler akzeptieren und uns einreden können, dass die Regulierung unseres Verbrauchs und die Kontrolle von Spitzenwerten etwas Tolles ist, selbst wenn wir dafür mit unseren persönlichen Daten bezahlen müssen. Wir hätten die Armen stigmatisieren und ihre Ausgrenzung reproduzieren können. Und auch diejenigen, die mit dieselbetriebenen Fahrzeugen fahren. Wir hätten dafür stimmen können, dass Elektroautos von kostenlosen Parkplätzen und Mautermäßigungen profitieren. Auch wenn sie im Vorfeld, bei ihrer Herstellung, genauso umweltschädlich sind wie andere Autos. Wir hätten für die Smart City stimmen können, uns an Online-Debatten beteiligen und vernetzte Mülltonnen unterstützen, in denen man nicht mehr nach Nahrung wühlen muss. Wir wären zu ÖkoBürger*innen geworden. Wir hätten sagen können, dass dieses "Öko" sich sowohl auf das Klima bezieht, das uns antreibt, als auch auf den Willen, Geld zu sparen; und dass es in diesem Sinne eine Sache ist, die auch der Arbeiter*innenklasse dient.
Wir hätten uns selbst belügen können, indem wir das Greenwashing unterstützen: Das kostenpflichtige Bio-Label, die Lieferung von Massenware in Containern, Strom, der auf Kosten von Enteignungen produziert wird. Wir hätten alle sozialen und extraktivistischen Folgen dieses "grünen" Kapitalismus leugnen und uns in den sozialen Netzwerken damit brüsten können, seine Vorreiter*innen zu sein. Aber wir haben uns dafür entschieden, uns dagegen zu wehren.
Objektive Objekte und sich bewegende Sachen
Die Katastrophe, die wir erleben, ist nicht ein Problem für Techniker*innen, die sich eine oder mehrere Lösungen ausdenken müssen, um uns aus dem Schlamassel zu führen. Sie ist kein äusserer Faktor, der von Manager*innen berücksichtigt und in ihre Algorithmen integriert werden muss, damit sie weiter machen können, als wäre nichts geschehen. Unser Umgang mit der Katastrophe besteht darin, zu akzeptieren, dass wir uns ins Ungewisse bewegen. Wir wissen nicht, wie wir ohne die derzeitige Stromproduktion leben werden. Auch wenn wir im Moment von ihr abhängig sind, hindert uns das nicht daran, uns gegen das zu wehren, was uns zerstört.
Wenn Regierungen heute zunehmend einen klaren autoritären Kurs einschlagen, liegt das daran, dass soziale Bewegungen das Patriarchat, die Polizei, den Rassismus usw. zunehmend in Frage stellen. Wir sind der Meinung, dass es auch an der Zeit ist, die elektrische Ordnung anzugreifen. Wenn wir heute zusammen an einem Tisch sitzen, werden Kompliz*innenschaften entstehen und wir beginnen, von einer Sache zu träumen...
Diese Sache ist schon vor langer ZHungerstreik für Wandel in der Klimapolitik – Scholz weicht auseit entstanden, in früheren autonomen Kämpfen, in den Anti-Atom-Kämpfen, als es noch eine radikale Kritik am Staat und an der Armee gab, bevor sie sich in einer rein ökologischen Argumentation verfangen hat, die heute die Industrie der erneuerbaren Energien propagiert. Sie tauchte auf indirektem Weg auf kollektiven Baustellen auf, auf denen sich Wissen und Knowhow wieder angeignet wurde. Häuser wurden besetzt, kollektives Land bewirtschaftet und in Calais Brot gebacken. In jüngerer Zeit fand man diese Sache am Fuße eines Strommastes, während sie diesen umlegte, Hütten baute oder durch einen besetzten Wald spazierte. Sie ging in die direkte Konfrontation mit dieser Welt, indem sie mit Freude und Entschlossenheit auf die Straße ging. Die Reformist*innen und ihr Hang, die Wut zu kontrollieren, liess sie hinter sich. Die Verkehrskreisel16 lehrten sie, dass sich eine Vielzahl von Praktiken, Begegnungen und Stossrichtungen ergänzen können, wenn sie miteinander verbunden sind. Unddass das Aufeinanderprallen von unterschiedlichen Positionen, fernab der eigenen politischen Bequemlichkeit, Teil eines kollektiven Emanzpationsprozesses sein kann, der nicht so leicht vereinnahmt werden kann.
Klimakämpfe erachten wir nur dann als sinnvoll, sie können nur dann wirklich etwas verändern, wenn sie sich einerseits mit anderen Kämpfen gegen die Herrschaftsverhältnisse verbinden, andererseits aber auch anerkennen, dass sie selber von letzteren durchdrungen sind. Durch die Kämpfe, an denen wir teilgenommen haben, haben wir zahlreiche Praktiken erlernt. Einige waren erfolgreich, andere weniger. Wir haben das Spiel des Medienspektakels gespielt, wir haben versucht, die "Massen" zu erreichen und zu "sensibilisieren", wir haben schöne gewaltfreie symbolische Aktionen durchgeführt und dabei allzu oft direkte Aktionen vernachlässigt, obwohl diese für eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses unerlässlich sind. Manchmal wussten wir es besser als die anderen und engten uns selber in einer militanten Szene ein.
Mit der Digitalisierung konnten wir zu Sofa-Rebell*innen werden, die sich vormachen, etwas zu tun, aber jegliche Verankerung in der Realität verloren haben. Wir haben Petitionen eingereicht, Prozesse geführt oder versucht, Gesetze zu ändern. Das hat nicht gereicht. Zu oft wurden wir in die Position gedrängt, uns rechtfertigen zu müssen: "Ihr seid gegen Atom- und Windkraft? Schön und gut, aber was schlagt ihr dann als Alternative vor?" Diese Welt ist inkohärent und absurd, wir werden uns nicht zwischen Pest und Cholera entscheiden! Ihre Lösungen sind nur neue Probleme und wir werden nicht länger die Dienstleistungskräfte ihrer Katastrophe sein. Wir wollen unsere Zeit nicht mehr damit verbringen, diesem todbringenden System Pflaster zu verpassen.
Diese Sache (La Chose) greift die EDF an, ihre elektrische Ordnung, ihre Infrastruktur und ihre grüne Propaganda. Wir wollen uns das wiederaneignen, was im Mittelpunkt unserer Leben steht, aber von der Macht des Staates und des Kapitals kontrolliert und verwaltet wird. Die Stromnetze sind für ihre Vormachtstellung und alle damit verbundenen Herrschaftsansprüche unverzichtbar. Wir wollen herumschnüffeln, graben und ermitteln, um die zerstörerischen Projekte zu kennen, die die Energieplaner*innen so lange wie möglich unter Verschluss halten. Wir stellen ihre Missbräuche und Rückschläge bloß und werden ihre beruhigende Kommunikation zerbrechen. Wir wollen zeigen, dass wir in der Lage sind, die Netze, die uns gefangen halten, bis in den letzten Winkel zu kennen, dass wir in der Lage sind, die Lücken zu identifizieren und uns mit einem Knall in sie zu stürzen. Wir werden sie wissen lassen, dass wir sie sehen.
Dass wir sie verfolgen werden. Wir werden nicht zulassen, dass sie ihren technischmegalomanischen Wahn schamlos fortsetzen. Weil sie überall sind, ist die Infrastruktur schwach und nicht zu verteidigen: Masten, Transformatoren, LinkyZähler und -Zentralen, 5G-Antennen - keiner dieser Energieknotenpunkte kann sich ohne die Akzeptanz der BevöHungerstreik für Wandel in der Klimapolitik – Scholz weicht auslkerung halten.
Wir werden überall die Bruchlinie sein. Das Ingenieurwesen, die Landwirtschaft und die Bildung sind nicht das Vorrecht einer Verwaltungsgesellschaft. Wir müssen sie zu Werkzeugen eines radikalen und zugänglichen Gegenvorschlags machen.Zusammen auf die Baustelle! Gegen Windkraftanlagen, bauen wir selbst welche! Überlassen wir die CO2-Neutralität den Befürworter*innenn des Status quo. Wir sollten uns mit ausreichender Technologie ausstatten, aber vor allem sollten wir die Werkzeuge, die Fähigkeit und die Lust, Schaden anzurichten, weitergeben. Der Aufbau einer Alternative ist nur dann sinnvoll, wenn das Bestehende erschüttert wird.
Der Kampf kann sich nur erneuern, wenn wir uns auf unsere Fähigkeit verlassen, uns gegenseitig zu erkennen und zusammenzuschließen; aber auch nur dann, wenn wir das Unbehagen der ideologischen Vielfalt ertragen. Gewissenhafte Umweltaktivist*innen, unbeugsame Anarchist*innen, wandernde Seelen, die vor dem Kollaps unserer Fortschrittlichkeit Angst haben; nutzen wir die unterschiedlichen Lager, um diese Verbindungen aufleben zu lassen, um am zeitlosen Surren der schwärmenden Kämpfe teilzunehmen.
La Chose ist weder ein Kollektiv noch eine geschlossene Gruppe. Es ist eine Ansammlung von Menschen, die sich treffen, aus den unterschiedlichsten Bereichen kommen und entschlossen sind, der elektrischen Ordnung den Kampf anzusagen und energetische und politische Autonomie zu entwickeln. La Chose bleibt dynamisch, es ist ein Prozess, der darin besteht, eine Verbindung zwischen den Kämpfenden, den Gebrochenen und den Zweifelnden herzustellen. La Chose ruft dazu auf, sich in Camps, auf kollektiven Baustellen und bei Aktionen zu treffen, um eine lebendige und konkrete Verbindung zwischen Menschen herzustellen, die wieder Einfluss auf ihre Lebensgrundlagen nehmen wollen. Wir sind bereit, uns der Normalisierung und Vereinnahmung zu entziehen. Wir weigern uns, uns zu verstecken. La Chose versucht, zu einer Kraft zu werden. Sie schafft Autonomie, manchmal inkohärent, immer partiell, aber dennoch konkret und in lokalen und kollektiven Praktiken verankert. Sie ist nicht konstruiert, sie wächst. Sie ist eine Metamorphose und eine Kraft, die Möglichkeiten eröffnet.Dies ist eine Einladung. Wir sind nicht naiv, aber wir glauben trotzdem daran. Sie haben gedacht, dass wir von ihren immer komplexeren Systemen überfordert sein würden - das Gegenteil ist der Fall! Wir umarmen die Komplexität, allerdings unsere eigene! Diejenige, die alles Lebende miteinander verbindet, diejenige, die es uns ermöglicht, Kompliz*innenschaften zu kreiren, diejenige, die uns in unseren sozialen und politischen Konstruktionen herausfordert, diejenige, die es uns ermöglicht, voranzukommen, zu lernen und uns weiterzuentwickeln. Entgegnen wir ihrer Komplexität etwas, das Algorithmen niemals beschreiben können: Die Kraft, die wir nähren, indem wir einander verstehen, gemeinsam und auf jede erdenkliche Weise aufbauen und Widerstand leisten. Emilie! Nimm deine BioBaumwolltasche, stecke einen Schraubenschlüssel ein und komm zum nächsten kollektiven Workcamp und baue mit uns. Thomas! Sag Siri, dass sie sich verpissen soll. Ingenieur*innen, desertiert! Stellt euch der realen Welt, der Welt der Menschen, die leben, die gegen Ihre Systeme und Abläufe kämpfen. Wütende Elektriker*innen, habt ihr Ideen, wie man den Stecker ziehen kann? Hacker*innen, welche kritischen Schwachstellen könnt ihr ausnutzen? Freund*innen, wo auchimmer ihr seid, wenn dieser Text etwas in euch ausgelöst hat, lasst uns diese Räume, diese Orte des Abschaltens, des Lebens und des Widerstands schaffen und wieder erschaffen, lasst sie uns verbinden, um diesen vibrierenden Archipel zu bilden, der sich nicht digitalisieren, virtualisieren, elektrifizieren und zerquetschen lässt. Der wachsam ist und zielgerichtet auf ihre totalisierenden Versuche reagieren wird. Wüten wir vor Freude und befreien wir uns aus der Umklammerung dieser Netzwerke des Todes. La Chose existiert. Sorgen wir dafür, dass sie lebt.
Anmerkungen:
1 Anmerkung der Übersetzer*innen: Zur Begriffserklärung haben wir uns jedoch erlaubt, Fussnoten einzufügen.
2 Enercoop ist eine französische Energieversorgungsgenossenschaft. Diese nutzt ausschliesslich erneuerbare Energien und ist das einzige genossenschaftliche Energieversorgungsunternehmen in Frankreich.
3 Engie ist ein börsennotierter Energieversorgungskonzern
4 Areva ein auf Atomenergie spezialisierter französischer multinationaler Konzern
5 EDF Électricité de France SA, ist ein börsennotiertes, staatliches französisches Energieversorgungsunternehmen
6 Cigéo ist ein französisches Projekt zum Bau einer geologischen Endlageranlage für radioaktive Abfälle in Bure
7 GIP groupement d’intérèt public, öffentliche Interessenvereinigung
8 ANDRA Agence Nationale pour la Gestion des Déechets Radioactifs (Nationale Agentur für das Management radioaktiver Abfälle): Organisation, die in Frankreich für die Entsorgung und vor allem Endlagerung von radioaktiven Abfällen zuständig ist.
9 SAFER sociétés d’aménagement foncier et d’établissement rural (Gesellschaften für Bodennutzung und ländliche Ansiedlung) sind öffentliche Institutionen mit Verwaltungscharakter, die durch das Gesetz zur landwirtschaftlichen Ausrichtung geschaffen wurden
10 Linky-Zähler Intelligenter Stromzähler, auch Smart Meter genannt, der seit 2015 von Enedis, dem französischen Stromnetzbetreiber, in den französischen Haushalten installiert wird
11 GAFAM Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft. Französich für Big-Tech
12 France Connect Mit FranceConnect können sich Bürger mit Wohnsitz in Frankreich für OnlineVerwaltungsleistungen öffentlicher Stellen identifizieren und authentisieren.
13 Nachlese bezeichnet eine früher verbreitete Erntemethode der ärmeren sozialen Schichten, bei der liegengebliebene Ähren oder Früchte eingesammelt wurden
14 Anm. d. Ü.: Uns ist es wichtig zu betonen, dass dies nicht nur Frauen, sondern auch genderqueere Menschen betraf und sich genau darin und zu dieser Zeit die Festschreibung von binären Gender-Rollen verstärkt hat.
15 Énergies Nouvelles Das IFP Énergies Nouvelles ist ein französisches Forschungsinstitut in den Bereichen Energie, Verkehr und Umwelt.