RiseUp4Rojava besetzt Brandenburger Tor
Aktive von RiseUp4Rojava haben in Berlin das Brandenburger Tor besetzt. Sie fordern die Anerkennung der nordostsyrischen Selbstverwaltung, das Ende der türkisch-dschihadistischen Angriffe auf die Region sowie den Stopp der Waffenexporte an Ankara.
Mehrere Aktivist:innen der Kampagne „RiseUp4Rojava“ haben am Montagnachmittag in Berlin das Brandenburger Tor besetzt und ein 30 Meter langes Banner mit dem Schriftzug „Demokratie in Syrien – Rojava verteidigen“ angebracht. Vom Dach aus verlasen sie Forderungen, darunter ist ein Stopp aller deutschen Waffenlieferungen an die Türkei sowie ein Ende der Angriffe gegen die Demokratische Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) durch die türkische Armee und deren dschihadistische Proxy-Truppe SNA. Diese eskalieren im Windschatten der Freude über das Ende des Assad-Regimes in Syrien ihre Gewalt gegen die DAANES, um weitere Gebiete an der Grenze zur Türkei zu annektieren.
Anerkennung der Selbstverwaltung gefordert
Wie aus einer Pressemitteilung hervorgeht, fordert RiseUp4Rojava außerdem die Anerkennung der DAANES durch die internationale Gemeinschaft als stabilisierendes Modell für Frieden und Demokratie in Syrien. „Nur die Anerkennung der Demokratischen Selbstverwaltung wird Frieden und Demokratie in Syrien und der ganzen Region möglich machen“, erklärte eine der an der Aktion beteiligten Aktivist:innen. Die Türkei und deren Verbündete hätten aber kein Interesse an einem friedlichen und freien Syrien. Deutlich werde dies durch die Angriffe auf die Bevölkerung Nord- und Ostsyriens, die gleichzeitig auch auf das politische Modell der DAANES abzielten.
Demokratische Selbstverwaltung der Region Nord -und Ostsyrien ist der formelle Name für Rojava (ku. Westen), die ehemals rein kurdische Autonomieverwaltung in Syrien. Seit 2012 hat diese sich zu einer multi-ethnischen Rätedemokratie mit Fokus auf der Gleichstellung der Frau entwickelt. Dieses politische Modell wird von der Türkei als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit eingestuft. Nach mehreren Angriffskriegen, in deren Folge Ankara weite Teile im kurdisch geprägten Norden Syriens besetzte, schaffte das NATO-Land im Schatten des Sturzes des Assad-Regimes weitere Fakten und nahm zusammen mit ihrer Hilfstruppe SNA weitere Gebiete der DAANES ein.
Kriegsverbrechen durch SNA
„Diese Angriffe werden begleitet von Verschleppungen von Frauen, sexualisierter Gewalt und Folter“, erklärten die Akvist:innen von RiseUp4Rojava. Söldner von SNA selbst teilten in sozialen Netzwerken Videos ihrer Kriegsverbrechen, wie die Erschießung Verwundeter in einem Krankenhaus in der Region Minbic (Manbidsch) sowie die Entführung von weiblichen Kämpferinnen. Aktuell liegt der Fokus der Besatzer auf Kobanê. Seit Tagen intensivieren sich die Luft- und Bodenangriffe auf die symbolträchtige Stadt, die 2015 unter großen Opfern von den YPG und YPJ aus den Händen des sogenannten Islamischen Staats (IS) befreit wurde. „Es ist wie damals; die Kräfte der YPG/YPJ und die Bevölkerung in Kobanê kämpfen gegen Islamisten und der Westen fällt ihnen in den Rücken. Diesmal sogar schlimmer, er fördert die Islamisten direkt“, resümierte eine Aktivistin.
Klares Signal von der Bundesregierung
Die SNA ist ausgerüstet und finanziert von der Türkei, die immer wieder militärische Exporte aus Deutschland erhält und diese Waffen nicht selten in völkerrechtswidrigen Kriegen einsetzt, wie beispielsweise 2018 in Efrîn (Afrin). „Es ist widersprüchlich, dass alle großen deutschen Parteien von Frieden für Syrien sprechen, während sie im Verteidigungsausschuss Waffenexporte in Höhe von 230 Millionen in die Türkei verabschieden, die größte Summe seit 2006“, stellte RiseUp4Rojava fest und ergänzte: „Die einzige Partei, die in Syrien noch Krieg führt, ist die Türkei, während in den Gebieten der Selbstverwaltung die von deutschen Politikern erhoffte Demokratie in Syrien bereits seit zehn Jahren gelebt wird. Um Frieden und Demokratie in ganz Syrien sicherzustellen ist es notwendig, dass die internationale Gemeinschaft das bewährte Modell der DAANES anerkennt.“
Weiter fordert die Kampagne: „Das Brandenburger Tor, die Porta Pacis, ist das Symbol des Friedens inmitten des Regierungsviertels. Die Bundesregierung muss nun ein klares Signal setzen und die DAANES anerkennen, wenn sie sich wirklich für Frieden und Demokratie in Syrien einsetzen möchte. Dies ist nicht nur ein Schritt zu einer gerechteren Zukunft für Syrien, sondern auch ein Beitrag zur Stabilität im gesamten Nahen Osten.“
Riseup4Rojava ruft zu Aktionen unter #HandsofKobane auf
Blockade des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin
Am Mittwoch blockierten Aktivist:innen vorübergehend das ZDF-Hauptstadtstudio. Es kam zu Verhandlungen mit der Redaktion. Anlass war die Berichterstattung über die kurdische Selbstverwaltung in Nordost-Syrien. Dann folgte die Räumung.
Am Mittwochmorgen gegen 10 Uhr besetzte ein Zusammenschluss von rund 20 Aktivist:innen das Foyer des ZDF-Hauptstadtstudios. Ziel der Blockade war es, eine Reihe von Forderungen über die Anerkennung der demokratischen Selbstverwaltung in Rojava durch die öffentlich-rechtlichen Medien mit dem ZDF diskutieren zu können.
Sie überreichten einen Forderungskatalog und verlangten Verhandlungen. Erst nachdem die Polizei durch das ZDF gerufen und mit mehreren Einheiten angerückt war, um den friedlichen Protest zu räumen, kam es zu Gesprächen mit der verantwortlichen Redaktion.
In der Verhandlung betonten die Redakteur:innen ihre Offenheit dem Thema gegenüber und wollten die Forderungen als Anstöße mitnehmen. Die Verhandlungen konnten mit einem Kontaktaustausch und dem Ausblick auf ein Treffen beendet werden.
Die Besetzung: teils erfolgreich, teils polizeilich aufgelöst
An der Besetzung beteiligen sich Aktivist:innen mehrerer demokratischer, klassenkämpferischer und internationalistischer Organisationen sowie solidarische Einzelpersonen.
Nach erfolgreicher Beendigung der Verhandlungen erklärten die Aktivist:innen, freiwillig das Gebäude zu verlassen. Allerdings wurden sie daran von der Polizei gehindert. Diese bestand darauf, die Personalien aufnehmen zu müssen, um Anzeigen wegen Hausfriedensbruch stellen zu können.
Die Aktivist:innen forderten vom ZDF aufgrund des positiven Ausgangs der Verhandlungen und der Bereitschaft, freiwillig zu gehen, die Anzeige wegen Hausfriedensbruch zurückzuziehen. Diese Garantie wollte ihnen das ZDF nicht einräumen. Daraufhin weigerten sich die Aktivist:innen, das Gebäude ohne Garantie auf Rückzug der Anzeige freiwillig zu verlassen, und wurden anschließend unter Einsatz von Schmerzgriffen von der Polizei geräumt.
In ihrer Stellungnahme schreiben sie: „Wir sind schockiert darüber, dass das ZDF trotz des friedlichen Ablaufs der Besetzung und der erfolgreichen Verhandlungen auf die polizeiliche Maßnahmen bestanden hat.“
Die Forderungen im Wortlaut
Die genauen Forderungen der Besetzung lauteten:
1. dass deutsche und vor allem öffentlich-rechtliche Medienhäuser, wie das ZDF, ihrer Aufgabe einer demokratischen und allseitigen Berichterstattung gerecht werden, und auch über die sich zuspitzenden Angriffe in Nordost-Syrien und vor allem über die Angriffe auf die Selbstverwaltung kontinuierlich berichten. In der Berichterstattung über Rojava muss anerkannt werden, dass die Selbstverwaltung einen der vier Teile Kurdistans darstellt und als demokratische Föderation für verschiedene ethnische und religiöse Gruppen ein sicheres Zuhause darstellt. Die Berichterstattung muss den Fakt, dass die Selbstverwaltung in Nordost-Syrien ein relevanter politischer Akteur ist und gerade in existenzieller Gefahr schwebt, hervorheben.
2. dass die Milizen der SNA und der HTS nicht kritiklos als Rebellen eingeordnet werden. Besonders in Bezug auf die SNA fordern wir, kontinuierlich einzuordnen, dass die SNA von der Türkei abhängig ist und türkische militärische Interessen in Syrien umsetzt.
3. dass jedwede Massaker und Verbrechen gegen ethnische und religiöse Minderheiten sowie gegen Frauen vonseiten der Milizen, aber auch vonseiten der Türkei und Israels anerkannt werden und über sie berichtet wird.
4. eine kontinuierliche Berichterstattung über die anhaltenden militärischen Angriffe der Türkei auf die Selbstverwaltung. Hier soll auch betont werden, dass diese Angriffe nicht etwa vor einer Woche begonnen haben, sondern einen seit Jahren andauernden Zermürbungskrieg darstellen, mit dem Ziel der Liquidierung der Selbstverwaltung und der Ausweitung der türkischen Machtgrenzen. Dabei gilt es auch herauszustellen, dass der NATO-Staat Türkei sowohl direkt als auch durch die SNA einen Angriffskrieg auf Rojava führt, der von der NATO gebilligt wird.
5. eine objektive Berichterstattung über die Serie von Angriffen des israelischen Staates auf Syrien und Rojava sowie über die weiteren Landbesetzungen durch Israel über die Golanhöhen im syrischen Süden.
6. ein Ende der Kriminalisierung von in Deutschland lebenden und politisch aktiven Kurd:innen. „Wir rufen auch deutsche Medienhäuser, wie das ZDF, dazu auf, dazu beizutragen, dass in Deutschland lebende Kurd:innen und pro-kurdische Aktivist:innen nicht weiter kriminalisiert, verfolgt oder abgeschoben werden, beispielsweise indem über stattfindende Repressionen, Verfolgungen und Abschiebungen politischer Geflüchteter durch den deutschen Staat und seine Behörden berichtet wird.“
Auch wenn sie dieses Mal speziell das ZDF besetzt haben, fordern die Aktivist:innen alle Medienhäuser und Journalist:innen auf, sich mit der Lage in Nordost-Syrien auseinanderzusetzen und die massive Lücke in der Berichterstattung, die dort bestehe, zu schließen.