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Zum Tod von Bernd Heidbreder

Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zuviel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben. Es kann sein. Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer. Aber wir haben im Sommer Abschied genommen. Die Kleider der Frauen leuchten lang aus dem Grün. Und nun reiten wir lang. Es muss also Herbst sein. Wenigstens dort, wo traurige Frauen von uns wissen.

Rainer Maria Rilke

Wie soll das gehen, über jemanden zu schreiben, den man das letzte Mal vor über einem Vierteljahrhundert gesehen hat und den man damals schon nicht wirklich gekannt hat, obwohl man so viel zusammen erlebt hat. Wie soll man das erklären, diese verrückten Zeiten, in denen wir alle jeden Tag mit einem Bein im Knast gestanden haben und trotzdem jeden Abend in aller Seelenruhe zu Bett gegangen sind. Ich habe letztens noch eine alte Gefährtin durch Zufall direkt vor meinem Wohnhaus in Kreuzberg getroffen, wir haben über “die Drei” vom K.O.M.I.T.E.E geredet, über alte Verbindungen, die durch die Flucht gekappt wurden, über die verschlungenen Wege, über die einige der alten Weggefährt*innen all die Jahre hindurch Kontakt zu den Genossen gehalten haben. Vieles kann man bis heute nicht öffentlich erzählen, auch wenn es im Moment so aussieht, als wenn die Bemühungen der deutschen Justiz der drei habhaft zu werden, nicht von Erfolg gekrönt zu sein scheinen. Vor einigen Monaten entstand sogar die Initiative “Bring The Boys Back Home”, deren Ziel es war, den dreien eine legale Rückkehr nach Deutschland zu ermöglichen.

Video in Tweet oben:

 

Denn Flucht, Exil bedeutet auch den Verlust der Möglichkeit, liebe Menschen zu sehen, die eigenen Eltern werden älter, irgendwann fängst du an die Tage zu zählen, die vielleicht noch bleiben um sie noch einmal in den Arm zu nehmen. Bernd hat aufgrund eines internationalen Haftbefehls der deutschen Repressionsbehörden fast 1,5 Jahre in Venezuela in Auslieferungshaft gesessen, lange war nicht klar, wie die ganze Angelegenheit ausgehen würde, schließlich hatten venezolanischen Sicherheitskräften die Festnahme in Zusammenarbeit mit deutschen Zielfahndern durchgeführt. Und während Basisorganisationen in Venezuela wie die einflussreiche Coordinadora Simón Bolívar (CSB) sich für die Freilassung von Bernd stark machte, schien die Regierung selber in dieser Angelegenheit hoch ambivalent. Und spätestens die Verschleppung von Cesare Battisti nach Italien hat deutlich gemacht, dass “linksgerichtete” Regierungen in Lateinamerika im Zweifel auch bereit sind, dreckige Deals mit westeuropäischen Ländern zu schließen und Genossen über die Klinge springen zu lassen, wenn es sein muß sogar unter Verletzung des internationalen Rechts. Nun, im Oktober 2015 fiel dann endlich die Entscheidung, Bernd nicht nach Deutschland auszuliefern. Doch damit war die Geschichte der Verfolgung der drei Genossen noch nicht vorbei. Im November 2019 wurde Peter Krauth am Flughafen von El Vigía festgenommen. Er war auf dem Weg nach Caracas, um dort Freunde und Freundinnen aus Deutschland abzuholen. Grundlage war auch hier der internationale Haftbefehl, der von der Bundesanwaltschaft im August 2019, also 24 Jahre (!) nach dem versuchten Anschlag auf den Neubau des Abschiebeknastes in Berlin Grünau, erneuert worden war. Alle drei hatten zu diesem Zeitpunkt schon zwei- bis dreijährige Verfahren zur Erlangung des Status als politische Flüchtlinge hinter sich. Im März 2020 wurde dann die Freilassung von Peter angeordnet.

Im Februar diese Jahres hat dann die “Commission for the Control of Files“ (CCF) von Interpol aufgrund der Beschwerde des Rechtsanwalts von Thomas Walter die sogenannte Rote Ausschreibung (Red Flag) gegen Thomas zurückgenommen. Begründet mit dem immer noch (!) laufenden Asylverfahren in Venezuela. Diese Entscheidung hebt nicht den Haftbefehl des Bundesgerichtshofes auf, aber die Fahndung außerhalb Europas musste daraufhin eingestellt werden. Es keimte also nach über einem Vierteljahrhundert Hoffnung auf, “bring the boys back home”. Vielleicht würde es einen Weg für die drei geben, straffrei und ungebrochen zurückzukommen, und sei es nur für ein paar Tage. Genau darauf zielte die neue Initiative ab, den politischen Druck aufzubauen, um dieses Vernichtungsinteresse des deutschen Repressionsapparates, Reue oder lebenslange Jagd, zu brechen

Bernd wird nicht zurückkehren können, und sei es nur für ein paar Tage. Er ist vor wenigen Tagen an Krebs gestorben. Und ich will Euch von jemanden erzählen, den ich nicht wirklich gekannt habe. Ich weiß nicht, was für Musik er gemocht hat, welche Filme er geschaut hat, wer seine Lieblingsautor*innen waren. Ich weiß eigentlich über Bernd Heidbreder ziemlich wenig, da sind nur diese teilweise verschwommenen Erinnerungen, an Treffen mitten in der Nacht an abgelegenen Plätzen, um notwendige Dinge zu tun, um Nazis ihr Terrain streitig zu machen, da sind die Erinnerungen an diesen Block, der aus einigen Zusammenhängen bestand und diese Stadt ein paar Jahre mächtig gerockt hat. Und nichts mit Mackermilitanz, zu diesem Zusammenhang gehörten mehrere Gruppen von militanten, feministischen Frauenzusammenhängen, und auf die konnte mensch am ehesten zählen, wenn es eng wurde, wie auf Bernd und seine Combo. Weil unsere Militanz vor allem aus Liebe zum Leben kam und aus dem Hass auf dieses kaputte System, das den Völkermord im Trikont mitorganisierte und finanzierte, dass die Menschen, denen die Flucht aus diesen Verhältnissen und Kriegen hierher gelungen war, in Gefangenschaft nahm um sie wieder abzuschieben. Dazu war der Neubau des Abschiebknastes in Berlin Grünau konzipiert worden, in dessen Architektur die Erfahrungen aus der Isolationshaft gegen die politischen Gefangenen genauso eingeflossen sind wie in den neuen Frauenknast, den sie in Plötzensee hingestellt haben.

Ich kann euch also wenig persönliches über Bernd berichten, und trotzdem muss ich über ihn schreiben, so wie ich meinen ersten politischen Roman den Drei vom K.O.M.I.T.E.E. gewidmet habe. Weil mich all die verschwommenen Erinnerungen all die Jahrzehnte nicht losgelassen haben. Weil wir alle wissen, dass wir nur an dem einen oder anderen Tag, oder in der einen oder anderen Nacht einfach etwas mehr Glück gehabt haben und deshalb nicht seit einem Vierteljahrhundert von der Bundesanwaltschaft gejagt werden. Und weil aus diesen geteilten Erfahrungen, die wir damals gemacht haben, etwas entstanden ist, dass mit Solidarität nur sehr unzureichend beschrieben ist. Lange Zeit gab es aus naheliegenden Gründen keine aktuellen Bilder von Bernd und den anderen. Nur alte Fahndungsbilder, die aus ED Behandlungen und Passfotos resultierten. Seit ein paar Jahren, seitdem die Drei “offiziell” in Venezuela aufgetaucht und um Asyl gebeten haben, gab es wieder neue Bilder, war ich nicht angewiesen auf meine verschwommenen Erinnerungen. Es gibt sogar einen wunderbaren Film “Gegen den Strom”, aber irgendwie sind die alten verschwommenen Bilder in mir immer noch viel lebendiger. Nicht dass mich das wirklich wundern würde.

Ich weiß nicht was Bernd zu diesen, meinen Zeilen sagen würde, vielleicht würde er sie mir um die Ohren hauen. Vielleicht weil ihm ganz andere Sachen wichtig wären oder weil er sich, sein Leben und sein Tod, nicht als Gegenstand solch öffentlicher Verlautbarungen sehen möchte. Nicht gesehen gemocht haben wollte..? Wie bekomme ich das bloß hin, über ihn in der Vergangenheit zu reden. Die ganze Zeit war er Teil meiner Vergangenheit, eines der zahlreichen Gespenster, die durch mein Unterbewusstsein wandeln. Und trotzdem so gegenwärtig. Und nun… Werden wir nie ein Bier zusammen trinken, kann er mir nie meine Großmäuligkeit, meine Eitelkeit und all meine anderen Fehler, die auch in diesem Text aufscheinen, um die Ohren hauen. Das ist wirklich traurig. Trotzdem, bring the boys back home! Damit sie ihre Liebsten umarmen können, auch wenn sie nur noch zu zweit sind. Danke Bernd, für alles, daran dass du mich immer wieder allein durch dein Beharren auf das was wir waren, woher wir kamen, tausende von Meilen entfernt, auf einem anderen Kontinent, auch immer wieder auf mich selbst zurückgeworfen hast. Mach es gut Genosse.

Aus dem Nebel: Sebastian Lotzer.

Veröffentlicht in Sūnzǐ Bīngfǎ