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Sechs Monate in Freiheit- wie ging es weiter?

 

Nach sechs Monaten in Freiheit, hier ein neuer Rück- und Ausblick von Thomas aus Freiburg.

Ende August 2023, es war Hochsommer, wurde ich nach fast 27 Jahren Haft entlassen. Eben noch auf Station 2, in meiner Zelle in der JVA Freiburg, Zeitung lesend, eingeengt von den gefängnistypischen kleinlichen, kleinkarierten Regelungen, welche im Namen von „Sicherheit und Ordnung“ von den zuständigen Bediensteten verfügt werden, drückte mir am Vormittag des 29. August 2023 Frau Dr. S. den Beschluss des Oberlandesgerichts in die Hand. Ab sofort sei ich frei!

Willkommen Freiheit

Es tat gut, endlich Menschen begegnen zu können, ohne die permanente Überwachung und Kontrolle des Justizsystems. Schon in den ersten Minuten und Stunden nach Verlassen der Haftanstalt führte ich Telefongespräche. In Haft muss mensch sich Telefonnummern erst von der Anstalt freischalten lassen: jetzt wählte ich selbst- und wurde auch angerufen. Abends saß ich, dort wo ich freundliche Aufnahme gefunden hatte, mit Menschen die mich das erste Mal sahen und ich ebenfalls, am Abendbrottisch zusammen. 27 Jahre lang hatte ich so etwas nicht mehr erlebt.

Die technische Entwicklung der letzten 30 Jahre hatte ich nur medial vermittelt, also indirekt verfolgen können, jetzt galt es, binnen weniger Tage sich mit Smartphone und Laptop vertraut zu machen.

Jederzeit den Ort verlassen zu können, tagsüber, nachts, genau jetzt- wenn ich es nur möchte, das fühlt(e) sich unvertraut an. Nicht, dass ich vor geschlossenen Türen stehen geblieben wäre um zu warten, dass mir ein/e Schließer*in sie aufschließe, aber mir war so, als wäre dieses „an einem Ort bleiben“ in der langen Haftzeit geradezu im Körper aufgenommen worden.

Vertrauter waren mir da die Gespräche mit Menschen, gerne nicht in großer Runde: es nahmen liebe Menschen den Weg nach Freiburg auf sich, schon in den ersten Wochen nach meiner Freilassung. Über die lange, lange Haftzeit waren wir uns in Trennscheibenräumen begegnet, sprich, eine Glasscheibe trennte den Besuchsraum, von der Decke bis zum Boden, über viele Jahre saßen Gefängnisbedienstete bei den Gesprächen mit im Raum. Endlich trafen wir uns ohne all diese Beschränkungen, miteinander redend, wir gingen spazieren, essen.

Neue Aufgaben

Die Zahl der Möglichkeiten sich zu entfalten, ist außerhalb von Gefängnismauern ungleich größer, letztlich aber auch überfordernd: nicht nur für Menschen welche nie in Haft saßen, aber gerade für diese. So suchte ich auch nicht nach Möglichkeiten, sondern Aufgaben und fand diese recht schnell: zum einen bei Radio Dreyeckland, dort konnte ich ein Praktikum beginnen, an das sich ein zweijähriger Bundesfreiwilligendienst anschließt. Zum anderen den Kontakt zu Menschen in Haft fortsetzen, oder wenn Menschen in Haft landen, ihnen schreiben. Gerade wenn jene die in Haft landen mit dem Smartphone aufgewachsen sind, erleben sie mitunter das radikale Abreißen der „just-in-time“ Kommunikation, die jederzeitige Verbundenheit mit Anderen, als zusätzliche Belastung. Sich auf das antiquierte Medium Brief umzustellen, verbunden mit den völlig anderen zeitlichen Rahmenbedingungen, das erfordert besondere Anstrengungen.

Und schließlich sehe ich eine weitere Aufgabe darin, über die Haftzeit auch zu sprechen, d.h. zu Veranstaltungen zu gehen um die Erfahrungen zu teilen. Der Verfolgungsdruck bundesweit in der linken Szene ist hoch, es gibt diverse Verfahren nach § 129 StGB, Razzien, Festnahmen, in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, aber immer auch mit dem Ziel, die Szene zu verunsichern, sie anzugreifen, und letztlich zu zerstören.

Es wird also auch weiterhin zu Festnahmen, zu Untersuchungs- und Strafhaft kommen. Was könnte nun, so die Idee, ein Mensch der längere Zeit in Haft gelebt hat, jenen die selbst in nächster Zeit mit Haft rechnen müssen, an Anregungen, Impulsen mit auf diesen Weg geben!? Aber auch in Richtung von Solistrukturen: wie ist die Perspektive eines Langzeitinsassen auf diesen Bereich? Ein zentraler Punkt in diesem Zusammenhang war und ist meines Erachtens die Vernetzung der Menschen und Strukturen die Soliarbeit leisten. Diese Vernetzungsarbeit kostet ihrerseits Zeit und Kraft, kann aber im Falle des Gelingens zugleich auch entlasten: zum Beispiel von dem enormen Druck, der entsteht, hilflos so vielem nur zuschauen zu können.

Stolperstellen

Wie geht es Dir? Bist Du jetzt glücklich?

Immer wiedermal werde ich das gefragt. Antwort zu geben fällt mir schwer. Ich bin froh, nicht mehr in einem Gefängnis leben zu müssen, endlich auch selbst etwas tun zu können. Weder vor, noch während der Haftzeit, und so auch nicht jetzt waren Alkohol oder Drogen eine Problemlösungsstrategie für mich, sprich: ich stelle mich allem nüchtern. Schon in der ersten Tagen und Wochen, aber auch heute, glaube ich spüren zu können, weshalb so viele Menschen nach der Haft (aber das betrifft nicht nur sie) der Wirklichkeit entfliehen, sich den Kopf „dicht“ machen.

Das Leid so vieler Menschen erlebe ich jetzt viel unmittelbarer, fast so, als würden die dicken Betonmauern eines Gefängnisses, wie ein Schutzwall, auch den Schmerz fernhalten: ich begegne jenen die auf der Straße leben (müssen) täglich, ich lese und höre Nachrichten über Kriege, Tote, Hungersnöte, Verfolgung, Repression. Heute trifft mich das wesentlich unmittelbarer als noch vor einem halben Jahr, als ich in der Zelle saß.

Dazu die Suche nach einem eigenen Platz im Leben. Die Voraussetzungen könnten besser nicht sei. Ein freundliches, solidarisches und aufnahmebereites Umfeld, die berufliche Arbeit bei Radio Dreyeckland, mit dem Bürgergeld komme ich auch gut aus. Sozial, beruflich, finanziell „geordnete Verhältnisse“ wie es so schön heißt.

Eine immer wieder sich breit machende innere Leere, aber auch Hilflosigkeit darüber, trotz der „Möglichkeiten“ der Freiheit wenig substantiell bewegen zu können und ein „sich-getrennt“ fühlen von der Welt, erschweren das weitere Ankommen im Leben außerhalb des Gefängnisses. Einen normalen Alltag zu bewältigen kostet stellenweise richtig viel Kraft.

Nein, „glücklich“ bin ich nicht- aber mich erfüllt und trägt, dass ich Menschen begegnen kann, außerhalb des Gefängnisses, dass ich für die nächste Zeit weiß wo ich leben darf, dass ich die Möglichkeit erhalte Erfahrungen zu teilen, um so vielleicht anderen etwas mitgeben zu können, die selbst davor stehen eines Tages in Haft zu kommen.

Ausblick

Genau auf solche tragenden sozialen Aspekte des Lebens scheint es mir anzukommen. Zu den existenziellen menschlichen Bedürfnissen zählt eine soziale Bezogenheit: das meint, das eingebunden, eingewoben Sein in soziale Beziehungen. In Begegnungen den Anderen und sich in Resonanz zu erfahren ist essentiell. Das möchte ich selbst weiterhin versuchen zu stärken.

Aber auch andere Menschen, ob nun aus der sehr speziellen Situation der Haft zurück in die Freiheit gelangt, oder ohne eine solche Erfahrung, ermutigen, jenseits dieses „alles-ist-fein“, „alles-ist-super“, „ich-bin-super-glücklich“ eben auch die Stolperstellen offener zu thematisieren. Denn mir begegneten schon in den ersten Tagen, Wochen und nun rund sechs Monaten so viele erschöpfte Menschen, die, so scheint mir, ganz ähnliche Erfahrungen, wie ich sie oben versucht habe zu skizzieren, teilen.

Denn für unsere Aufgaben brauchen wir Kraft- und im „miteinander-teilen“ liegt eine der Quellen für diese Kraft!

Solidarische Grüße gegen ganz besonders an jene hinter Mauern. Für viele: Maja, Benni, Andreas (letzterer befindet sich zur Zeit im Hungerstreik) und all jene von Repression ganz unmittelbar betroffenen und bedrohten Menschen!

Auch für viele: jene im Budapest-Verfahren, im Antifa-Ost-Verfahren, jene, die im Zusammenhang mit der Suche nach der RAF zugeordneten Personen mit Zeug*innenladungen konfrontiert sind, sowie exemplarisch für von Verfahren nach § 129 StGB Betroffene im Kreis Nürnberg!