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PKK erklärt Auflösung und Ende des bewaffneten Kampfs

von Perspektive Online

Sie ist eine der stärksten linken Guerillaorganisationen der Welt – nun hat die PKK ihre Auflösung und die Einstellung des bewaffneten Kampfes erklärt. Ihre „historische Mission“ sei erfüllt und nun wolle man sich weiter mit „demokratischer Politik“ für die kurdische Sache einsetzen. Was sind Hintergründe und wie geht es weiter?

Die Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) hat die Ergebnisse ihres 12. Kongress bekanntgegeben. Demnach werden die organisatorischen Strukturen aufgelöst und der Guerillakrieg in der Türkei beendet: „Wir sind der festen Überzeugung, dass unser Volk die Entscheidung, die PKK aufzulösen und den bewaffneten Kampf zu beenden, besser als alle anderen verstehen wird und es nun die Aufgaben der neuen Phase des demokratischen Kampfes für den Aufbaus einer demokratischen Gesellschaft übernehmen wird“, heißt es in einem Abschlusskommuniqué, welches von kurdischen Medien veröffentlicht wurde.rojava01

In dem Dokument umreißt die PKK einige Etappen des Freiheitskampfs des kurdischen Volkes und erklärt, dass nun ihre „historische Mission“ erfüllt sei. Man habe die „Politik der Leugnung und Vernichtung gegenüber unserem Volk durchbrochen und die kurdische Frage an den Punkt geführt“ an dem sie auf „demokratischem Wege gelöst werden“ könne. Es gelte nun in allen Lebensbereichen eigene Strukturen aufzubauen, eine kommunale, demokratische Gesellschaft zu errichten und eine „kurdische demokratische Nation“ zu verwirklichen. Dies solle nunmehr jedoch ohne Waffen geschehen.

Kongress unter strengen Sicherheitsbedingungen

Laut der Erklärung habe der Kongress vom 5. bis zum 7. Mai an zwei verschiedenen Orten in den kurdischen Bergen stattgefunden. Somit wollte man vermutlich verhindern, dass der türkische Staat mit einem gezielten Bombardement die Führungsstruktur vollständig ausschalten könnte. Bis zuletzt waren türkische Angriffe trotz einseitigem Waffenstillstand der PKK weitergegangen.

Insgesamt 232 Delegierte hätten sich an den Diskussionen beteiligt – Videoaufnahmen und Bilder zeigen die Kämpfer in Tarnkleidung und auch bekannte Gesichter der PKK-Führungsriege. Zudem sind auf Videos Abschlussparolen zu hören, wie etwa dass Delegierte „Es lebe die PKK“ und „Es lebe unser Anführer Apo“ rufen.

Laut der führenden Politikerin der linken DEM-Partei Pervin Buldan wurde beim Kongress „wahrscheinlich ein technischer Kommunikationsweg“ zum inhaftierten Anführer Abdullah Öcalan („Apo“) ermöglicht, genaueres wolle man jedoch nicht bekannt gegeben.

Öcalan-Aufruf vom Februar umgesetzt

Dem Schritt vorausgegangen war ein Aufruf des inhaftierten PKK-Anführers Öcalan. Dieser hatte einer Besucherdelegation eine Erklärung übergeben, welcher seine Partei zur Einberufung eines Kongresses, der Auflösung, und alle Seiten zur Niederlegung der Waffen aufrief. Mündlich hatte er zudem erklärt, dass dies „in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage“ bedürfe.

Anschließend hatte die PKK einen einseitigen Waffenstillstand erklärt und ist nun seinem Aufruf, einen Kongress einzuberufen, gefolgt. Auch sie schreibt in ihrem Kommuniqué, dass die Umsetzung der Entscheidungen, den bewaffneten Kampf zu beenden erfordere, dass Öcalan den „Prozess führen und lenken kann, das Recht auf demokratische Politik anerkannt wird und eine umfassende, rechtsverbindliche Absicherung gewährleistet ist“. Um welche Zugeständnisse es konkret gehen soll bleibt noch immer unklar.

Die PKK erklärte weiter, dass alle Organisationen der türkischen Gesellschaft und insbesondere das Parlament, „die Große Nationalversammlung“ ihrer „historischen Verantwortung gerecht“ werden müssten.

Wie geht es weiter?

Laut DEM-Abgeordneter Buldan stünde nun „ein langer Weg“ bevor, bei dem „Sorgfalt und Zurückhaltung“ erforderlich sein. Neben der DEM-Partei, welche vom türkischen Staat als parlamentarische Frontorganisation der PKK behandelt wird, dürfte auch Öcalan im weiteren Prozess eine Rolle spielen.

Auch staatsnahe türkische Medien berichten eng über den Prozess. Laut Türkiye Today sei bereits ein Rahmen für den Prozess der Entwaffnung umrissen. So sollen Waffen im Nordirak unter türkischer Aufsicht abgegeben werden und 300 führende PKK-Mitglieder in Drittländer wie Norwegen und Südafrika gebracht werden. Staaten mit starken kurdischen Bewegungen, wie Iran, Irak oder Syrien sollen ausgeschlossen seien.

Öcalan selbst soll inhaftiert bleiben. Ausländische Staatsbürger sollen ausreisen dürfen und rund 4.000 türkische Staatsbürger stückweise an Grenzposten in die Türkei gelangen. Zudem sollen bestimmte Amnestievereinbarungen beschlossen werden – das bedeutet, dass einige Straftaten nicht geahndet würden. Von kurdischen Medien gibt es keinerlei Informationen in diese Richtung.

Entwicklungen in Westasien

Die Hintergründe der Auflösung und seine tatsächliche Bedeutung sind weiterhin kompliziert einzuschätzen, da genaue Informationen über die Geheimdiplomatie sowie interne Prozesse fehlen. Dabei dürften jedoch geopolitische, militärische und ideologische Gründe eine Rolle spielen.orgosollo06

So heißt es etwa in der PKK-Erklärung: „Die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten, die Teil des Dritten Weltkriegs sind, machen eine Neuregelung der kurdisch-türkischen Beziehungen unausweichlich.“ Auch wenn ein Dritter Weltkrieg tatsächlich noch bevorsteht, so haben sich dennoch die geostrategischen Kräfteverhältnisse innerhalb der letzten zwei Jahre in der Region stark verändert.

Der türkische Staat hat etwa mit dem Sturz des Assad-Regimes an Kraft gewonnen und zugleich stehen die kurdischen Autonomie-Strukturen in Rojava stark von Seiten der Türkei wie der neuen HTS-Regierung unter Druck. Dennoch können diese noch weiter existieren, sind dabei jedoch auf die Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus angewiesen, der die PYD und Rojava wiederum aufgrund dessen linken Prägung langfristig ebenfalls als Gegner sieht.

„Demokratie“ statt „Revolution“

Zugleich hat sich die PKK auch ideologisch in den letzten Jahrzehnten immer weiter hin zu der Möglichkeit geöffnet, den bewaffneten nationalen Befreiungskampf, durch eine reformistische „demokratische Politik“ zu ersetzen.

Die Partei war Ende 1978 von 25 Personen als Kampfpartei gegründet worden, welche sich an Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus orientierte. Die PKK nahm ab 1984 den organisierten bewaffneten Kampf für ein sozialistisches Kurdistan auf. Ziel war es, sowohl die feudalen Strukturen in den inneren Klassenverhältnissen zu überwinden, als auch den türkischen Kolonialismus abzuwerfen.

Entgegen eines allgemeinen Trends des Niedergangs linker und fortschrittlicher Kräfte stärkte sich die Organisation auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989. 1999 wurde dessen Gründungsmitglied und langjähriger Anführer Abdullah Öcalan dann in einer international koordinierten Geheimdienstaktion festgenommen und auf einer Gefängnisinsel inhaftiert und immer wieder über viele Jahre in strenger Isolationshaft gehalten.

Er legte jedoch die ursprünglich marxistisch-leninistische Prägung ab und entwickelte mit dem „demokratischen Konföderalismus“ Ideen, welche auf den Aufbau eigener Strukturen innerhalb eines Staates anstelle der Zerschlagung des Staates setzten. Das zeigt sich auch in der Abschlussparole des Kommunique: „Der nationalstaatliche Sozialismus führt zur Niederlage; der Sozialismus der demokratischen Gesellschaft führt zum Sieg!“.

Inwiefern es innere Widersprüche innerhalb der Organisation zu dem aktuellen Prozess gibt, ist schwer von außen zu sagen. Laut einem AKP-Verhandler habe Öcalan persönlich in interne Konflikte innerhalb der Organisation interveniert, da Teile mit dem aktuellen „Friedensprozess“ unzufrieden seien. Es bleibt also offen ob alle Teile den Prozess wirklich mittragen.

Zudem hatte die PKK bereits im Jahr 2002 schon einmal einen Verzicht auf den bewaffneten Kampf erklärt, jedoch keine Waffen abgegeben und den Kampf einige Jahre später erneut aufgenommen. Auch hier bleibt also abzuwarten, inwiefern eine tatsächliche Entwaffnung stattfindet.

Was passiert mit den Schwesterorganisationen?

Ein weiterer Baustein zur Einschätzung, der noch vage bleibt, ist, wie die weitere Aktivität der PKK-Schwesterorganisationen PYD (Syrien), PJAC (Iran) und PÇDK (Irak) aussehen wird. Sie sind zusammen im Koma Civakên Kurdistanê (KCK) zusammengeschlossen. Hier war die PKK das politische Gravitationsfeld, jedoch Öcalan und sein demokratischer Konföderalismus eine übergreifende ideologische Grundlage.

Zugleich hatte etwa die PYD zuletzt erklärt, sie fühle sich nicht an den Aufruf von Öcalan gebunden, dieser richte sich nur an die PKK. Auch von einer Auflösung des KCK ist bisher keine Rede gewesen. Die von der PKK und Öcalan inspirierte politische Linie wird also vorerst fortgeführt.