Gründet Hausgruppen und Mieter*innengewerkschaften! -Ein Einwurf zur Feuerwerksdebatte
von: Einige aus der Offenen Anarchistischen Vernetzung Leipzig am: 24.02.2024 - 17:01
Disclaimer: Der Text wurde von einigen Menschen der OAV geschrieben und spiegelt nicht die Meinung der gesamten Gruppe wider.
Der Text sollte eigentlich anhand der Erfahrungen, die wir im letzten Jahr gemacht haben, erscheinen. Er ist aber gewissermaßen auch eine Antwort auf die Debatte um die Sinnhaftigkeit von Hausbesetzungen, welche durch die gescheitere Besetzung des Heliums entstanden ist.
Im ersten Artikel „Schluss mit Feuerwerk-Politik – Warum Leipzig nicht besetzt werden kann“ wurde (zurecht) das ständige Scheitern von längerfristigen Hausbesetzungen durch „Leipzig Besetzen“ benannt. Als positives Gegenbeispiel wurde daraufhin die Kampagne „Vonovia enteignen“ aufgeführt.[1] Die Kritik an „Vonovia Enteignen“, welche die Mieter*innen-Bewegung 2019 ausgelöscht hat, wird treffend in dem Artikel „Bericht vom Massencornern zur Verteidigung der Feuer(wehr)politik vorm revolutionären Reformismus“ beschrieben. Der Text wiederlegt viele Falschdarstellungen der bürgerlichen Presse zu dem Abend und zeigt die Wichtigkeit der Zusammenkunft auf der Straße auf.[2] Die meisten der anderen kleineren Ungereimtheiten des Feuerwerk-Textes wurden dann im Artikel „the world is on fire“ akribisch widerlegt.[3] Eine interessente Idee zur Verschränkung von Militanz und Legalismus wurde durch den Artikel „Ein Einwurf aus Berlin zum „Feuerwehr“-Beitrag“ eingebracht, auch wenn dabei übersehen wurde, dass dieses Konzept von „Leipzig Besetzen“ seit 3 Jahren gefahren wird. Das Konzept ist aber an sich vielversprechend und quasi der Grundstein autonomer Politik der 80er, siehe bspw. die Verschränkung von friedlichem und militantem Aktivismus gegen AKWs. Das Erreichen von politischen Zielen durch Massenbewegungen in Verbindungen mit zivilem Ungehorsam und militanten Aktionen ist also grundsätzlich sinnvoll und möglich.[4]
Wozu nun dieser Text? Die Kritik an der Sinnlosigkeit von neuen Hausbesetzungen und dem Verfeuern von Menschen stimmt, auch wenn andererseits Riots vielen Spaß macht und neue Menschen politisiert. Dafür muss dann aber kein Haus besetzt werden. Wer Bock auf Riot hat, kann eine Sponti oder einen Angriff auf eine Bank oder die Cops planen. Die Alternatividee von „Verstaatlichungen“ ist wiederrum aber schlichtweg staatstreu und nicht umsetzbar, wie sich in Berlin gezeigt hat. Verstaatlichung ist nichts wofür sich Autonome, Anarchist*innen oder Rätekommunist*innen einsetzen sollten. Wie in der DDR gesehen wurde oder auch bei jetzigen staatlichen Projekten, erfolgt bei Verstaatlichung weiterhin keine Produktion oder Verwaltung anhand der Bedürfnisse der Menschen, sondern die Folge sind Misswirtschaft und Bürokratie (siehe den berühmten Berliner Flughafen oder den Wohnungsbau in der DDR). Daher sollen hier ein paar neue Ideen in die Debatte eingebracht werden, damit diese nicht im „Nein – Doch – Ohhh“ Kreis verbleibt.
Der Text soll wieder an die Ideen von Mietsstreiks, Kollektivierung und selbstbestimmter Mietverweigerung erinnern, welch insbesondere durch die autonome Bewegung in Italien der 1960er und 1970er erfolgreich von mehreren Millionen Menschen praktiziert wurden, aber auch schon vor dem zweiten Weltkrieg erfolgreich angewendet wurden.[5] Es geht darum wieder eine linke Perspektive auf die Wohnungsfrage abseits von Szene-Freiräumen und Kampagnenpolitik zu entwickeln, welche die meisten Menschen eh nicht ansprechen.[6] Der Text ist somit auch eine Fortsetzung der Diskussion um den Umgang von Anarchist*innen mit Vonovia und der Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“[7]. Inspiriert wurde der Text auch von dem Konzept der „Kiezkommune“ und der Stadtteilinitiativen, welche in mehreren Städten als Antwort auf die Wohnungsproblematik ausprobiert werden, soll diese aber auch kritisieren.[8]
Für eine neue Herangehensweise!
Wir müssen uns für unser jetziges Handeln erst einmal bewusstwerden, dass wir komplett isoliert sind und eine Sprache sprechen, die entweder akademisch und postmodern oder alt und phrasenreich ist, so dass diese von den meisten Menschen nicht ernst genommen wird. Wir treten ihnen gegenüber in der Regel als akademisch-arrogante Moralapostel mit einem Fetisch für Sprachhygiene auf oder wollen sie messianisch von einer 150 Jahre alten Lehre überzeugen, die sie schon in der Schule gelernt haben. Wir wissen nichts von den Sorgen und Nöten oder gar politischen Einstellungen der normalen Menschen, also der konkreten Menschen, welche um uns herum arbeiten, wohnen oder Bahn fahren. Genau deswegen werden wir ständig als „Szene“ bezeichnet. Wir müssen erst wieder lernen so zu reden wie die meisten Menschen und auch über das zu reden was die meisten Menschen interessiert. Wir können uns an der Stelle freuen, dass die Geschichte und Theorie unserer Bewegung uns dafür Werkzeuge an die Hand gegeben hat, denn auch vor 150 Jahren steckte die linke Bewegung noch in ihren Kinderschuhen und musste erst aus ihrer Nische herauskommen.
Ein einfaches Mittel, um den Kontakt zu den Massen aufzubauen, ein Selbstbewusstsein über deren Lage herzustellen und Themenschwerpunkte für revolutionäre Aktivitäten festzulegen war der „Fragebogen für Arbeiter“, der 1880 von Karl Marx herausgegeben wurde. In dem Fragebogen sollen die Arbeiter*innen selbstständig über ihre Löhne, Arbeitsplätze und Mietskasernen berichten.[9] Ein Konzept was übrigens auch die Autonomen in den 1960er in Italien als „Militante Untersuchungen“ wieder aufgegriffen haben.[10] Das Konzept hat auch Michael Bakunin als „Militante Erziehung“ propagiert, wenn es darum ging, wie Anarchist*innen in Kontakt mit den normalen Menschen kommen sollen. Die „Militante Erziehung“ sieht vor, dass anstatt über die „Große Theorie“ eher über die kleinen Probleme der Arbeiter*innen wie Löhne, Wohnungsbedingungen und Vorarbeiter*innen geredet wird. [11] Wir müssen also den Menschen nicht die Welt erklären oder Feindbilder heraufbeschwören, sondern sie einfach kennenlernen und mit ihnen über ihre alltäglichen Probleme reden. Wir können dadurch eine Politik machen, die direkt an den Interessen der Menschen ansetzt und Organisationsformen aufbauen die sinnvoll sind. Oder anders gesagt: Ja der Schwatz mit der Nachbarin im Treppenhaus ist politisch, genauso wie die Familie nebenan an einem Sonntag nach Eiern zu fragen.
Ein aktueller Ansatzpunkt ist, wie die die „Antifa Kritik und Klassenkampf“[12] und „Gruppe Kollektiv“[13] aus Bremen das erkannt haben, das Wohnungsthema, da die Arbeitsverhältnisse in Deutschland sozialpartnerschaftlich stark befriedet sind. Die Organisierung am Wohnort ist also nicht nur eine Antwort auf die heute nicht mehr mögliche Strategie der Hausbesetzungen, sondern generell ein Konfliktpunk mit positiven Aussichten für revolutionäre Organisierung.
Die Gründung einer Hausgruppe
Eine gute Möglichkeit, um die Menschen im eigenen Haus kennenzulernen sind Hausgruppen auf Whatsapp. Backt am besten einen Kuchen, wenn ihr irgendwo einzieht und geht mit einem*r Mitbewohner*in nachmittags von Stockwerk zu Stockwerk und stellt euch vor. Sprecht erstmal recht unverbindlichen darüber eine Whatsapp-Hausgruppe zu gründen. (Richtet am besten auch einen E-Mail-Verteiler ein, da viele ältere Menschen keine Smartphones haben). Nennt als Gründe erstmal banale unpolitische Sachen, wie „schnelle Kommunikation, falls Menschen zu laut sind, Post-Pakete abzuholen sind oder mal jmd. Hilfe brauch“. Die meisten Menschen sind sehr überrascht und erfreut über solche Angebote, da sich viele nach mehr Hilfe und Kollektivität sehnen. Strittige Themen wie Corona, sollten eher ausgelassen werden und mensch muss sich schon mal darauf einstellen, dass sich übers Gendern lustig gemacht wird oder etwas gegen Ausländer gesagt wird. Willkommen in echtem Leben, mit all seinen Widersprüchen, Kompromissen und Konfliktlinien die gezogen werden müssen.[14]
Die Politisierung des Hauses sollte nun langsam beginnen. Steckt mal unauffällig Flyer für Nazi-Blockaden in die Briefkäste oder Aufrufe für eine Anti-Gentrifizierungsdemo. Es können so langsam politische Gesprächsthemen geschaffen werden. Man kann beiläufig beim Small Talk auf der Treppe fragen, ob der gleiche Flyer im Briefkasten gelandet ist. So können langsam Nachbarschaften politisiert werden, bis eine widerständige Nachbarschaft geschaffen ist, die Barrikadenmaterial am 1. Mai herausstellt. Es können so auch, wenn die Verankerung im Viertel groß genug ist, öffentliche Nachbarschaftsversammlungen abgehalten und Widerstandskomitees gegründet werden. Organisierung im Haus ist also nicht nur für Organisationsfetischist*innen sinnvoll.
Mit einhundertprozentiger Sicherheit wird die nächste Mieterhöhung in der Gruppe öffentlich gemacht oder ihr könnt diese öffentlich machen. Jedenfalls hatte eine durch uns geschaffene Hausgruppe diesen Effekt. Ein gemeinsames Interesse und ein Punkt der Aufregung ist damit gefunden. Hier könnt ihr zu einer Nachbarschaftsversammlung aufrufen und gemeinsam zur Mietberatung gehen. Seid aber natürlich nicht enttäuscht, wenn das Interesse am Anfang gering ausfällt oder die Kämpfe nur individuell, auf rechtlicher Basis geführt werden wollen. Informiert eure Nachbar*innen auf jeden Fall darüber, dass Widerstand gegen Mieterhöhungen möglich ist und es Initiativen gibt, die sich dagegen organisieren wie beispielsweise die „Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe“ in Leipzig.
Die „Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe“ trifft sich jeden ersten Montag im Monat. Sie schauen sich die Nebenkostenrechnungen von Einzelpersonen an und stellen Gegenrechnungen auf. Ein Skill den sie sich schnell selbst beigebracht haben und den wir uns auch beibringen müssen. Sie raten oft dazu gewisse Erhöhungen nicht zu bezahlen. Die Initiative begleitet Menschen zu Gerichtsterminen und wirbt von Tür zu Tür dafür bei Mieterhöhungen zu ihnen zu kommen. So sieht eine widerständige Praxis aus, die etwas bewirkt und die auf die Leute zugeht (wenn auch die fehlende revolutionäre Perspektive bei diesem Projekt kritisiert werden muss).
Ein Streik steht, wenn mensch ihn macht!
Eine längerfristige Organisierung setzt nun genau an dieser Perspektive des Kennenlernens, der normalen Sprache und der Politisierung mittels Fragebogen an. Eine revolutionäre Organisierung kann nur durch Basisarbeit stattfinden, die entweder von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz oder von Tür zu Tür geht und die Menschen zu ihrer Arbeits- oder Wohnsituation befragt, um mögliche Konflikt- und Organisierungsfelder herauszufinden, ähnlich wie es die Gruppe „Kiezkommune Wedding“ in Berlin getan hat.[15]
Um aber nicht in Sozialarbeit oder Staatsfetischismus zu versinken, muss eine bundesweite Mieter*innengewerkschaft gegründet werden, die ähnlich wie die „Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe“, „Kiezkommune Wedding“ oder der „Mieterschutzbund“ funktioniert. Die Stadtteil-Initiativen haben zwar den Punkt einer fehlenden bundesweiten Vernetzung kritisiert, aber bisher nicht die fehlende Ursache dafür erkannt.[16] Der entscheidende Punkt ist, ein gemeinsames Ziel und eine Methode zur Erreichung dieses Ziels. Wozu sollten sich Menschen in den zahlreichen Stadtteil-Initiativen oder Kiezkommunen engagieren, wenn diese überhaupt nicht handlungsfähig sind und kein wirkliches Konzept haben? Als Gegenentwurf sollte eine Mieter*innen-Gewerkschaft das Ziel besitzen, die Häuser zu kollektivieren mittels Mietstreiks. Eine Organisation mit festen Mitgliedslisten und Mitgliedsbeiträge schafft eine Messbarkeit, wann ein Streik möglich ist. Die Organisation kann so auch eigene Strukturen schaffen und muss nicht auf staatliche Räume für Beratungsangebote und Plena zurückgreifen, wie dies bei einigen Initiativen der Fall ist.[17] Menschen können so auch wirklich mit finanziellen Ressourcen unterstützt werden, wenn es bspw. zu juristischen Klärungen von Mieterhöhungen oder Zwangsräumungen kommt.
Eine Mieter*innengwerkschaft muss also regelmäßige offene Treffen abhalten und Rechtsschutz und Beratung gegen einen kleinen Mitgliedsbeitrag anbieten. Wenn genügend Mitglieder*innen bei einem Unternehmen (wie Vonovia) oder in einem Haus vorhanden sind, können Mietstreiks gestartet werden, um Mieterhöhungen zu verhindern oder um die Häuser zu kollektivieren. Da Mietstreiks rechtlich illegal sind und Räumungen zu erwarten sind, sollten auch kollektivierte Häuser Teil der Mieter*innen-Gewerkschaft werden, damit diese Ersatzwohnungen für Zwangsgeräumte stellen. Es ist aber erwartbar, dass bei Mietstreiks ein so großer ökonomischer Druck auf die Vermieter*innen aufgebaut wird, dass es zu einem schnellen Einlenken kommen wird. Das Risiko sinkt auch dadurch, wenn nur teilweise Mieterhöhungen nicht gezahlt werden, da so keine Kündigungen möglich sind. Wir brauchen also Know-How, Organisierung und eine große Portion Hoffnung, wenn wir wirklich etwas erreichen wollen. Aber dass es so bleibt wie es jetzt ist, ist keine Alternative.
Lasst jedes Haus zu einem Ort des Zusammenkommens und Widerstands werden!
Häuser kollektivieren!
Mietstreiks organisieren!
Baut Hausgruppen und Mieter*innengewerkschaften auf!
PS Zur Frage der Gewalt: Wenn ab und zu mal ein kleines Zeichen der Lebendigkeit aufblitzt oder bei einem Mietstreik ein Bankfenster eingeknallt wird, dann kann dies jedem Menschen nur ein Lächeln ins Gesicht zaubern ;)
[1] Gruppe Enteignen: „Schluss mit Feuerwerk-Politik – Warum Leipzig nicht besetzt werden kann“, am 27. September 2023, unter: https://knack.news/6822
[2] Gruppe Selbstermächtigung: „Bericht vom Massencornern zur Verteidigung der Feuer(wehr)politik vorm revolutionären Reformismus“, am 30. September 2023, unter: https://knack.news/6851
[3] Firefighting politics: „because the world is on fire – eine Antwort auf „Schluss mit Feuerwehrpolitik““, am
1. Oktober 2023, unter: https://knack.news/6858
[4] Berliner: „Ein Einwurf aus Berlin zum „Feuerwehr“-Beitrag“, 2. Oktober 2023, am unter: https://knack.news/6872
[5] Crimethinc: „Mietstreik? Eine strategische Begutachtung von Mietstreiks – historisch und aktuell“, am 30. März 2020, unter: https://de.crimethinc.com/2020/03/30/mietstreik-eine-strategische-beguta...
[6] Vogliamoo Tuttoo: „Revolutionäre Stadtteilarbeit. Zwischenbilanz einer strategischen Neuausrichtung linker Praxis“, Münster 2022, S. 12.
[7] „Broschüre über die militante Kampagne gegen Vonovia“, 2022, unter: https://kontrapolis.info/5900/
[8] Radikale Linke Berlin, Kiezkommune Wedding, Kiezkommune Kreuzberg-Neukölln, Kiezkommune Friedrichshain: „Das Konzept Kiezkommune“, 2019, unter: https://kiezkommune.noblogs.org/die-kiezkommune/
[9] Marx, Karl: „Fragebogen für Arbeiter“, in: Marx-Engels-Werke, Band 19, S. 230–237.
[10] Serafino, Davide: „Der Kampf gegen gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen am Beispiel von "Chicago Bridge" in Sestri Ponente (Genua) 1968/1969“, in: Arbeit – Bewegung – Geschichte. Zeitschrift für historische Studien, Heft I/2016.
[11] Bakunin, Michael: „La líbertad“, Buenos Aires 1975, S. 115-116.
[12] Antifa Kritik und Klassenkampf: „Der kommende Aufprall. Auf der Suche nach der Reißleine in Zeiten der Krise“, S. 12.
[13] Gruppe Kollektiv: „11 Thesen. Für eine grundlegende Neuausrichtung linksradikaler Politik –
Kritik & Perspektiven um Organisierung und revolutionäre Praxis“, S. 10-11.
[14] Berg Fidel Solidarisch und Rosa – Münster, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 45-46.
[15] Kiezkommune Wedding – Berlin, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 158-159.
[16] Solidarisch in Gröplingen und Kollektiv – Bremen, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 86.
[17] Berg Fidel Solidarisch und Rosa – Münster, in: Tutto: „Revolutionär Stadtteilarbeit“, S. 29-30.
"Breite Bündnisse gegen den Rechtsruck" Was tun gegen den Rechtsruck! Aber wie?
Es ist begrüssenswert, dass es in den letzten Wochen nach dem Bekanntwerden des „Masterplan Remigration“ von Sellner, Neue Rechte, AfD, WerteUnion, CDU, Millionären und Aristokraten Hunderttausende von Menschen gegen AfD und Faschismus auf die Strasse gegangen sind.Auch wenn die marxistische und antifaschistische Linke derzeit so schwach ist, dass sie keine nennenswerte Alternative in die Stadtteile und Betriebe oder auf die Strasse bekommt, ist es doch wenigstens erforderlich, während des Aufbaus der derzeitigen Bündnisse und auch in den Aktionen laut und deutlich Kritik und weiterreichende Vorstellungen einzubringen, die inhaltlich klar über ein „Alle gegen die AfD!“ hinausreichen.
Man kann nicht kritiklos mit Leuten gemeinsam gegen die AfD-Remigrationspläne auf die Strasse gehen, die im Unterschied zur AfD davon nicht nur reden, sondern sie ankündigen und vor allem die Macht haben, sie auch praktisch durchzusetzen: „Wir müssen endlich im grossen Stil abschieben!“ (Olaf Scholz, Oktober 2023) – das bedeutet reale und unter Umständen tödliche Gefahr für alle, die künftig von der deutsch unterstützen europäischen Politik des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) betroffen sein werden.
„Willkommenszentren“ in Afrika (bereits Otto Schily, SPD), „Abschiebungen Hunderttausender Migrant:innen nach Ruanda“ (Ministerpräsident Sunak, Grossbritannien), „Musterstädte in Nordafrika“ (Sellner, AfD, CDU und WerteUnion im Potsdamer Geheimtreffen) – wo ist denn da der grundsätzliche Unterschied? In der angeblichen „Rechtstaatlichkeit“ der Umsetzung solch menschenverachtender Vorhaben? Das kündigt die AfD wie zum Hohn auch an!
Man kann nicht kritiklos mit Leuten gegen Faschismus auf die Strasse gehen, die Bandera-verherrlichende Nazis in der Ukraine bewaffnen, die dafür wie zum Beispiel Scholz und Pistorius bei Rheinmetall in Unterlüss die nächste Munitionsfabrik für die NATO-Osterweiterung in der Ukraine in Auftrag geben und gleichzeitig über die dortige Zwangsarbeit von Tausenden bis 1945 schweigen – eine Zwangsarbeit, an die vor Ort in Unterlüss bis heute niemand erinnert werden will[2], und wo vor drei Jahren die ersten Ansätze einer Erinnerungsarbeit[3] daran innerhalb von Stunden gewaltsam zerstört wurden.
Man kann nicht kritiklos mit Leuten gemeinsam für "Rechtstaatlichkeit" auf die Strasse gehen, die den zionistischen Völkermord in Gaza für „rechtstaatlich" erklären, ihn im Sinne einer ominösen „deutschen Staatsräson“ politisch decken, ihn bewaffnen und finanzieren, die einerseits bei jeder Gelegenheit feierlich und wie Baerbock gar unter Tränen erklären „Nie wieder ist Jetzt“ – und zugleich und mit der ausdrücklichen Begründung dieses „Nie wieder!“ Kriegsverbrechen mitverantworten. „Nie wieder“ kann nur bedeuten „Nie wieder ist Jetzt, gegen niemanden und nirgends!“ – oder es bedeutet nichts.
Man kann nicht kritiklos mit Leuten gemeinsam auf die Strasse gehen, deren Politik der vergangenen Jahrzehnte zu einer gigantischen sozialen Ungleichheit geführt hat, der jetzt den Aufstieg der AfD und ihre Demagogie ermöglicht. Es ist dieser Nährboden der Ungleichheit, der es AfD, CDU möglich macht, sich derzeit problemlos als „Anwalt der kleinen Leute“ aufzuspielen und zugleich gegen Streiks hetzt, eine Erhöhung des Mindestlohns ablehnt, die Renten kürzen will und Gewerkschaften als Feinde oder allenfalls notwendiges Übel betrachtet.[4] SPD und GRÜNE waren mit Agenda-Politik und dem darauffolgenden Sozialabbau sogar die Geburtshelfer einer Lage, von der heute die AfD profitiert.
Man kann nicht kritiklos gemeinsam mit Leuten auf die Strasse gehen, die die Aufklärung von faschistischen Mordserien und Massakern wie NSU und Hanau nach Kräften behindert haben und sogar möglicherweise mitverantwortlich dafür sind: der ehemalige Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt Frank-Walter Steinmeier, Hessens Ex-Innenminister Bouffier, Rhein, Beuth usw. Die Aufklärung dieser faschistischen Verbrechen erfolgte im Wesentlichen durch die Recherchearbeit nichtstaatlicher Gruppen und gegen bis heute andauernden staatlichen Widerstand, während der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Maassen, heute mit seiner WerteUnion gern zur Zusammenarbeit auch mit der faschistischen AfD in Thüringen bereit und zur Zeit der NSU-Morde den Grundstein seiner späteren Karriere legte. Die Offenlegung der Rolle eines hessischen Verfassungsschutzmitarbeiters bei der Ermordung von Halit Yozgat durch den NSU in Kassel widerspricht angeblich bis heute dem „Staatswohl Hessens“. [5]
Man kann nicht kritiklos gemeinsam mit Leuten gegen die Leugner der anbrechenden Klimakatastrophe auf die Strasse gehen, die ihrerseits - zB. in der Mobilitätspolitik – einfach weiter wie bisher machen, gegen das Urteil des Bundesverfassungsgesetzes von 2021 das Klimaschutzgesetz entkernen und damit gegen das Verfassungsgebot der Nachhaltigkeit verstossen. Die gesellschaftlichen Konsequenzen, die diese Politik schlimmstenfalls schon in wenigen Jahrzehnten haben kann, werden dann nur noch mit schärfster, wahrscheinlich faschistischer Repression unter Kontrolle zu halten sein, Massenfluchten Überlebenswilliger und militärischen Konflikten aller Art unter Kontrolle zu halten sein.
Ich finde: die Frage der "breiten Bündnisse" muss offen, respektvoll, aber konfrontativ in unseren eigenen Reihen diskutiert werden.
Solche Bündnisse müssen einen erkennbaren antifaschistischen politischen Kern haben, der von uns nicht zur Disposition gestellt werden darf.
In solchen Bündnissen sollten wir uns dem Schwur von Buchenwald verpflichtet fühlen: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“[6]
Wir wissen, was die gesellschaftlichen Wurzeln des Nazismus in letzter Instanz waren: die Herrschaft des Monopolkapitals, des deutschen Imperialismus, des Kapitalismus. An seiner gesellschaftlichen Macht hat sich nichts geändert. Wir wissen, dass die beiden Sätze des Schwurs nicht voneinander getrennt werden können. Für eine solche Welt des Friedens und der Freiheit einzutreten, heisst deshalb, für eine Welt zu kämpfen, in der Faschismus strukturell nicht mehr möglich sein wird – eine Welt nach dem notwendigen Bruch mit Imperialismus und Kapitalismus.
Damit aber können wir noch nicht einmal anfangen, wenn wir es nicht wenigstens laut sagen.
Jedes Mal, wenn wir in Bündnissen ohne solche inhaltlichen Mindestbedingungen kooperieren, verändert das für alle anderen und auch in uns selbst etwas zum Falschen und Unklaren, nährt Illusionen und Opportunismus. Wir stärken damit objektiv genau das, was wir bekämpfen wollen.
Wie gesagt: es kann ja sein, dass wir derzeit keine Alternative organisieren können. Aber dann müssen wir wenigstens da, wo die Menschen sind, mit denen wir demonstrieren, laut sagen, was ist.
Wenn wir noch nicht einmal das tun erklären wir uns für überflüssig.
Fussnoten:
[1] Ausführliche Begründung der folgenden Zeilen (Juni 2023): https://wurfbude.wordpress.com/2023/10/03/thesen-zur-aktualitat-des-antifaschismus/
[2]https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/archiv-der-jahre/zwangsarbeit-im-faschismus/
[3]https://wurfbude.wordpress.com/2020/08/21/die-arbeit-der-erinnerung-form-des-widerstands-und-der-befreiung/
[4] Klaus Dörre: https://www.freitag.de/autoren/podcast/klaus-doerre-im-podcast-vier-ideen-wie-wir-die-afd-besiegen-koennen
[5] Wolf Wetzel, https://www.nachdenkseiten.de/?p=37786
[6] E.Carlebach / W. Schmitt / U. Schneider: Buchenwald. Ein Konzentrationslager. Bonn 2000. Faksimile des Schwurs auf der hinteren inneren Umschlagseite
Anschlagsserie: Die mysteriöse Spur der militanten Klimaaktivisten
Teile der Klimabewegung radikalisieren sich. In mehreren Großstädten kommt es zu Anschlägen auf Unternehmen. Während der Staatsschutz ermittelt, führen Spuren im Netz ins akademische Milieu. Ein Einblick in die Gedankenwelt der Extremisten.
Kurz vor Weihnachten verübt eine militante Klimagruppe einen Anschlag auf ein Betonwerk des internationalen Cemex-Konzerns in Berlin-Kreuzberg. Die Täter zünden vier Betonmischer an, zerstören eine Förderbrücke und beschädigen Teile eines Gebäudes. Zu dem Anschlag bekennt sich eine Gruppe mit dem Namen „Switch off“. Die Ermittlungen führt nun der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz. Die Berliner Polizei rechnet der militanten Klimagruppe mittlerweile zwölf Anschläge zu – und sie geht von mehreren Tätern aus.
Deutschlandweit sind Ermittler besorgt, dass sich Teile der Umweltszene radikalisieren könnten – und zwar in rasantem Tempo. Der Grund: Immer öfter verweisen autonome Kleingruppen auf den Umweltschutz. Erst am vergangenen Wochenende attackierten Maskierte ein Kieswerk in Hessen, zerschnitten Förderbänder und beschädigten Motoren. Schaden: rund 50.000 Euro. Die Täter veröffentlichten später ein Bekennerschreiben, auch sie stammen offenbar aus der Szene. Eine weitere Gruppe, die sich „Disrupt now“ nennt, verübte ebenfalls Anschläge. Und nach jüngsten Brandanschlägen auf Tesla-Autos und -Ladesäulen in Berlin ermittelt die Polizei wegen „linkspolitisch motivierter“ Straftaten.
Die Taten passen in ein Raster, das Verfassungsschützer ausgemacht haben. Den Gruppen gehe es „in letzter Konsequenz“ darum, aktuelle Themen wie Klima- und Umweltschutz zu nutzen, um die parlamentarische Demokratie zu diskreditieren und für ein anderes politisches System zu werben. „Aufgrund des vielfach jugendlichen Alters der Protestierenden und der hohen öffentlichen Wahrnehmung stellen Klimaproteste für Linksextremisten aus verschiedenen Spektren ein attraktives und anschlussfähiges Themenfeld dar“, heißt es im Lagebild des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Doch wie sieht die Gedankenwelt aus, in der sich Gruppen wie „Switch off“ bewegen? Wer die Spuren im Internet verfolgt, landet bei ausufernden Bekennerschreiben und Pamphleten, in denen ein Systemwechsel gefordert wird. Dafür sei auch Militanz ein Mittel: „So radikal wie der vom Kapitalismus gemachte Klimawandel es erfordert, können wir kaum blockieren und sabotieren“, schreiben die Hintermänner der Gruppe.
In Berlin hatte sich „Switch off“ bereits zu Brandanschlägen auf Bagger und Baufirmen bekannt. Auch für Attacken auf die Bahn in Hamburg sollen die Autonomen verantwortlich sein. In der Logik der Gruppe dient der Bahn-Konzern „neokolonialer Ausbeutung“. Ungewöhnlich ist, dass es sich bei „Switch off“ laut Erkenntnissen aus Sicherheitskreisen um eine Art Mitmachkampagne handelt, unter deren Dach die Anschläge verübt werden. Eine Art Franchise-Organisation mit dem Ziel, mutmaßliche Umweltsünder zu attackieren.
Wer zum Unterstützerkreis gehört, die Bekennerschreiben formuliert und sie ins Netz stellt und wer die Anschläge bislang verübt hat, ist auch den Behörden unklar – anders als das ideologische Terrain der Kampagnen. Teilweise wurden in den Bekennerschreiben, die der Staatsschutz als authentisch einschätzt, ganze Passagen von einem Wissenschaftler übernommen. So tauchen in verschiedenen unter dem Namen der Kampagne veröffentlichten Texten auffällige Formulierungen auf, die auch in Veröffentlichungen eines Forschers und Aktivisten aus Nordrhein-Westfalen zu finden sind.
Der Mann heißt Guido Arnold und forscht am Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Diss), einer privaten linken Einrichtung. Arnold hat nach Angaben des Diss an den Universitäten Wuppertal und Nantes theoretische Physik studiert und in der Quantentheorie promoviert. Zuletzt veröffentlichte er zahlreiche Beiträge zu Themen wie künstliche Intelligenz, Kapitalismuskritik – und dem Klimawandel.
Anschlag auf Golfclub
WELT AM SONNTAG fand mehr als ein Dutzend sich teils über mehrere Sätze erstreckende Passagen, die „Switch off“ für ihre Verlautbarungen bei Arnold entliehen hat. In den Texten ist von „Expansionskapitalismus“ die Rede, der die Position der Machthaber sichere. In einem achtseitigen Pamphlet von „Switch off“ heißt es über Industrie und Politik: „Sie kleben am Dinosaurier der Atomenergie.“
Nach einem Anschlag auf einen Golfclub im Hamburger Nobelviertel Blankenese schrieb „Switch off“ in einem auf dem linksradikalen Portal „Indymedia“ veröffentlichten Text: „Und so ist der Kampf gegen die Klimazerstörung unweigerlich auch ein Kampf entlang von Klassenfragen.“ Ein Satz, der wortgleich in einem Aufsatz von Arnold steht. Und selbst ganze Textblöcke scheinen aus Werken eines einzigen Autors zu sein. Dann etwa, wenn „Switch off“ postuliert, die „Initiative“ zur Umwälzung müsse „notwendigerweise von unten kommen“. „Denn der Staat fühlt sich bis auf kosmetische Korrekturen einem dystopischen ‚Weiter-so‘ für das Wirtschaftssystem verpflichtet. Ein Festhalten an dieser ökologisch verheerenden, kapitalistischen Wirtschaftsweise kommt einer ignoranten Beschleunigung in Richtung Kollaps gleich.“ Ein Bekennerschreiben bei „Indymedia“ wurde mit dem Schlagwort „Biopolitik“ versehen, das auch Arnold nutzt.
Welche Rolle spielt der Wissenschaftler, der in der Vergangenheit unter verschiedenen Namen in zahlreichen aktivistischen Bewegungen – etwa gegen die Hartz-Reformen, den Konzern Amazon, oder die „Bild“-Zeitung – aktiv war? Arnold gibt auf Anfrage an, „Switch off“ nicht zu kennen. „Meine Texte sind auf der Webseite des Diss frei verfügbar. Ob und wer sich daran bedient, weiß ich nicht“, so Arnold. Eine radikale Umweltgruppe also, die bei einem ihr ideologisch nahestehendem Wissenschaftler plagiiert?
Dass Enteignungsfantasien mit dem Klimaschutz begründet werden, ist nicht nur bei „Switch off“ zu beobachten. Das zeigt etwa ein Diskussionspapier, das auf dem Blog der linksextremistischen „Interventionistischen Linken“ veröffentlicht wurde. Darin kündigen die Autoren an, eine viel grundlegendere Veränderung vorzubereiten, als Parlamente sie je beschließen könnten. „Was wir in unseren Bewegungen schaffen, reift heran, um im richtigen Moment alles umzustrukturieren“, heißt es in einem Schreiben mit dem Titel „Klimagerechtigkeit wird nicht in den Parlamenten gemacht“. Eine maßgebliche Rolle komme dabei dem von der „Interventionistischen Linken“ beeinflussten Bündnis „Ende Gelände“ zu, heißt es im aktuellen Berliner Verfassungsschutzbericht. Im März 2022 veröffentlichte die Gruppe das Buch „We shut shit down“. In dem Buch heißt es: „In einer kapitalistischen Gesellschaft (kann es) keine Klimagerechtigkeit geben. Daher ist neben dem Kampf für eine klimagerechte Gesellschaft der Kampf für einen Systemwandel erforderlich.“
Keine Klebeaktionen mehr
Die Sicherheitsbehörden verfolgen auch die Entwicklung von Organisationen wie der „Letzten Generation“ aufmerksam. Die Aktivisten hatten kürzlich angekündigt, künftig auf Klebeaktionen zu verzichten und ihren Protest direkter zu adressieren. So schreiben die Aktivisten auf ihrer Homepage, dass man die Verantwortlichen für die Klimazerstörung in Zukunft „verstärkt direkt konfrontieren“ wolle. Zum anderen wolle man häufiger Orte der fossilen Zerstörung aufsuchen – so wie man es in der Vergangenheit schon bei Protesten an Öl-Pipelines, Flughäfen oder dem Betriebsgelände von RWE getan habe.
Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin beobachtet den Protest der „Letzten Generation“ schon länger – und zählte zu den schärfsten Kritikern. Er sagt, dass der Strategiewechsel der Aktivisten nicht überraschend komme. Wenn über Sabotagen und Eingriffe in den Flugverkehr gesprochen werde, „reden wir über weitere angekündigte Straftaten“, so Jendro. Aus Sicht der GdP erfülle die Gruppierung sämtliche Parameter einer kriminellen Vereinigung. Die große Frage ist, ob „Switch off“ und die „Letzte Generation“ auch gemeinsam agieren.
Extremismusforscher Klaus Schroeder von der Freien Universität in Berlin sagt: „Teile der Umweltbewegung haben sich weiter radikalisiert und sind kriminell und verfassungsfeindlich.“ Das sehe man etwa beispielhaft an den Kampagnen von „Switch off“. Dahinter versteckten sich Leute, die sich an die Umweltbewegung dran gehängt hätten, weil das Thema anschlussfähig ist. Auch die „Letzte Generation“ stehe am Scheideweg. „Mit der Ankündigung eines Strategiewechsels und direkteren Aktionen bis hin zu Sabotageakten untergraben sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung und greifen den Staat an“, so Schroeder. Und weiter: „Teile der Bewegung wollen nicht das Klima ändern, sondern das System. Und das wäre verfassungsfeindlich.“
Von Alexander Dinger, Lennart Pfahler
[eine mysteriöse spur hat der investigativ-reporter dinger („berichtete zuletzt als Reporter vor allem über Clan-Kriminalität und die Letzte Generation“) nicht, aber da der welt.de artikel hinter einer paywall ist hier in kopie]
passiert am 17.02.2024
von: Gemeinschaftlicher Widerstand am: 14.02.2024
Wie die meisten von euch wahrscheinlich mitbekommen haben, läuft seit Mitte Januar in Hamburg ein neuer Prozess zu der am Rondenbarg brutal von den Cops zerschlagenen Demonstration im Rahmen der Proteste während des G20-Gipfels 2017.
Mit dem groß angelegten Prozess – Landgericht Hamburg, Hochsicherheitssaal, mindestens 25 Prozesstage und Dutzende Zeug*innen – soll nicht nur nachträglich die brutale Polizeigewalt legitimiert, sondern vor allem auch das Demonstrationsrecht weitreichend eingeschränkt werden. Den Angeklagten wird sogenannter „Schwerer Landfriedensbruch“ vorgeworfen, aber keine einzige konkret begangene Tat.
Diverse Infos und Hintergründe zum Prozess finden sich unter anderem auf der Seite der Solidaritätskampangne „Gemeinschaftlicher Widerstand“. Hier gibt es auch verschiedene Statements der Angeklagten und der Verteidigung, einen Presseüberblick und die Protokolle der einzelnen Prozesstage.
Viele Infos finden sich ebenfalls auf der Sonderseite der Roten Hilfe und der Homepage der Soli-Struktur „Grundrechte verteidigen!“.
Bereits am ersten Prozesstag hatte die Staatsanwaltschaft überraschend angeboten, den Prozess gegen die fünf Angeklagten gegen eine eher geringe Geldauflage und eine allgemeine Distanzierung von Gewalt einzustellen. Nun, vor dem dritten Prozesstag, haben zwei der Angeklagten einer Einstellung unter Auflagen zähneknirschend zugestimmt. Beide Angeklagte hatten sehr wichtige persönliche Gründe, der Einstellung zuzustimmen.
Wir finden wichtig zu betonen, dass keine*r der Angeklagten sich während des Prozesses auch nur im Geringsten zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft und zur von der Polizei brutal zerschlagenen Demonstration am Rondenbarg eingelassen hat. In einer gemeinsamen Prozesserklärung haben hingegen alle Angeklagten am ersten Verhandlungstag betont: Die Proteste gegen G20 waren richtig, wichtig und notwendig, und es braucht weitere Proteste, um die Welt zum Besseren zu verändern.
Das Verfahren gegen eine weitere Person wurde abgetrennt, weil diese am dritten Verhandlungstag erkrankt war. Gegen zwei Personen wird der Prozess also aktuell weitergeführt. Die beiden Angeklagten, die das Einstellungsangebot ablehnten, haben dazu eine Prozesserklärung im Gericht verlesen.
In den ersten Prozesstagen konnten bereits wesentliche Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft widerlegt werden. Wir fordern, dass der Prozess gegen die beiden Angeklagten und gegen die etwa 80 weiteren Menschen, die ebenfalls eine Anklage wegen der Rondenbarg-Demo erhalten haben umgehend und bedingungslos eingestellt wird!
Solidarität ist weiter notwendig: Einige stehen vor Gericht, gemeint sind wir alle! Lasst uns auch die weiteren Prozesstage gemeinsam und solidarisch begleiten. An jedem Prozesstag wird es eine Kundgebung vor dem Gericht geben. Auch finanzielle Unterstützung ist natürlich immer gewünscht. Machen wir Soli-Aktionen, schreiben unsere Forderungen an Wände und führen wir den Kampf um eine bessere, solidarische Welt gemeinsam weiter!
Und natürlich sind die gerade in Hamburg Angeklagten nicht die einzigen von Repression Betroffenen. Ob in Berlin, Hamburg, Leipzig, Jena oder Budapest: Der Staat zeigt seine Krallen gegen emanzipatorische und antifaschistische Proteste und Bewegungen. Gegen die staatlichen Angriffe – gemeinschaftlicher Widerstand!
Prozesstermine
22.02.2024: 5. Prozesstag * Kundgebung * 8:30 Uhr * Landgericht
23.02.2024: 6. Prozesstag * Kundgebung * 8:00 Uhr * Landgericht
Veranstaltungstermine
16.02.2024: Veranstaltung zu Rondenbarg * 20:00 Uhr * Rote Insel * Berlin
22.02.2024: Veranstaltung zu Rondenbarg * 19:00 Uhr * UJZ Korn * Hannover
- Details
Die Broschüre „Wir wollen Alles! Und du?“ mit (größtenteils erstmals) ins Deutsche übersetzen Texten, Flugblättern und Aufrufen aus der autonomia und der 77er-Bewegung ist online veröffentlicht worden. Die Broschüre kann unter https://duenneseis.blackblogs.org/broschuere/ gelesen und heruntergeladen werden.
Nicht mehr bloß alles wollen, sondern sich einfach alles nehmen. Die Revolution wird ein Fest sein oder sie wird nicht sein. Ein unversöhnlicher Angriff auf Staat, Kapital und Arbeit. Das war die autonomia.
Die weltweite Revolte 1968 sowie der heiße Herbst 1969 mitsamt seinen intensiven Auseinandersetzungen bedeuteten zwar einen vorläufigen Höhepunkt der sozialen Kämpfe in Italien, nicht jedoch deren Ende. Die subversiven Taktiken weiteten sich über die Fabriken hinaus aus. Gleichzeitig traten in den 70er Jahren weitere Bewegungen auf: der Feminismus die Schwulenbewegung, das jugendliche Proletariat. Überall entstanden in dieser Zeit Basiskomitees, autonome Kollektive, Jugendzirkeln, Besetzungen, freie Radios, Zeitschriften: die autonomia; keine Gruppe, keine Organisation – auch wenn sie einige dazu machen wollten - und auch keine einheitliche politische Theorie, sondern ein diffuses, vielfältiges Archipel.
Dabei spielte die Kritik der zeitgenössischen Art der Politik, auch jene der bestehenden außerparlamentarischen Gruppen, eine zentrale Rolle: Gegen eine Vorstellung von Politik, die von außen an die Kämpfe herantritt und diesen einfach eine vorgegebene Strategie aufzwingen will. Gegen eine Politik, die vom eigenen Leben getrennt abläuft. Die Kämpfe sollen im Ausgang von den eigenen Begehren geführt werden.
Im Rahmen der autonomia – und darüber hinaus – breiteten sich schließlich zahlreiche „autonome“ Lebensformen aus: Besetzungen, Selbst-Reduktion der Tickets, Rechnungen und Preise, politische Einkäufe. Der Versuch sich bereits jetzt – soweit es eben möglich ist – den vorhandenen gesellschaftlichen Reichtum anzueignen, die befreite Gesellschaft in den bestehenden Kämpfen ein Stück weit zu antizipieren. Wie es einer, der dabei war, formuliert: Sie haben uns dafür zahlen lassen, aber wir hatten eine großartige Zeit.